In ihrer „Was wäre wenn“-Kolumne fragt sich unsere Praktikantin Alina, wie es eigentlich wäre, plötzlich offline zu sein – und was wir mit der wiedergewonnen Zeit alles anstellen könnten.
Wie das Smartphone unser Handeln bestimmt
Es ist 7 Uhr: Ich wache auf, der erste Griff geht zum Handy, um den Wecker auszustellen oder zu checken, wie spät es ist. Auf dem Weg zur Arbeit öffne ich Instagram, Facebook und Twitter – schau mir an, wie andere Menschen ihr Wochenende verbracht haben und was in der Welt zwischenzeitlich passiert ist. So geht das den ganzen Tag weiter, mein Handy ist mein ständiger Begleiter geworden. Offline bin ich nur ganz selten. Es ist ein ewiger Teufelskreis aus unzähligen Informationen, die am Ende des Tages in einer völligen Reizüberflutung enden.
Um diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen, hat eine Freundin jetzt einen Entschluss gefasst, den ich bemerkenswert finde. Sie möchte ihr Smartphone abgeben und wieder ihr historisches Nokia 3310 verwenden. Das heißt, ich erreiche sie nur noch per Anruf oder SMS. Zugegeben, im ersten Moment habe ich das für eine Schnapsidee gehalten. Denn auch wenn mich das Messenger-Chaos manchmal nervt, könnte ich nicht einfach von heute auf morgen darauf verzichten. So wäre ich ja total abgeschottet, oder?
Ich bekenne mich offen und ehrlich zur Generation Mobile: Mein Handy ist in vielen Momenten mein persönlicher Assistent, meine Bezugsquelle, mein Kalender, mein Sprachrohr und mein Fotoalbum. Als ich dann vor einigen Wochen selbst, wenn auch nicht freiwillig, einige Zeit offline war (dank einem Wasserschaden) merkte ich: So schlecht finde ich das gar nicht. Im ersten Moment war ich natürlich etwas überfordert, meine Bahnverbindung von der Fahrplanauskunft abzulesen, einen ganzen Tag lang ohne Musik zu verbringen und keine aktuellen Nachrichten lesen zu können. Wenn man sich aber erstmal von dem Gedanken, konstant online sein zu müssen, verabschiedet hat, kann man die Zeit, die man offline verbringt, erst so richtig genießen. Eigentlich doch ganz schön, abends mal wieder ein Buch in die Hand zu nehmen, anstatt sich durch den Instagram-Feed zu klicken.
Die schönsten Momente passieren offline
Inspiriert durch diesen, wenn auch kurzen, Digital-Detox-Moment, denke ich in letzter Zeit immer öfter zurück an den Punkt, als mein rosafarbenes Klapphandy noch mit Abstand die größte Innovation in meinem Leben war. Fast schon melancholisch erinnere ich mich an die Zeit, in denen meine Freunde und ich uns über das Festnetztelefon unserer Eltern angerufen haben, um uns nachmittags zu verabreden. Und als wir uns noch Postkarten aus dem Urlaub geschrieben haben, um uns gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen. Damals konnten wir auch noch stundenlang Gespräche führen, ohne das ständige Fiepen, Klingeln und Vibrieren unserer Smartphones. Unsere unspektakulären Pausenbrote genießen, ohne Fotos davon zu schießen. Und zu Konzerten gehen, ohne den Moment mit tausenden Fotos einfangen zu wollen.
Manchmal wünschte ich wirklich, die Zeit wäre stehen geblieben, 2010 war ganz schön, und ich hätte mich somit einfach dem Sog der Online-Welt entziehen können. Ja, ich glaube mein Leben wäre anders verlaufen, wenn die rasante digitale Entwicklung einfach vor dem ersten iPhone stehen geblieben wäre. Ich würde mich wahrscheinlich weniger in einer sozialen Blase von Gleichgesinnten bewegen, wäre besser im Kopfrechnen und könnte mir Dinge besser merken. Meine Komfortzone würde ich öfter verlassen, weil ich mich mit Menschen auf der Straße verabreden müsste und nicht die Möglichkeit hätte kurzfristig abzusagen.
Ich würde endlich Verantwortung für meine eigene Organisation übernehmen und mich vorallem mit einer Person beschäftigen: mit mir selbst. Denn wenn ich so darüber nachdenke, werden die Momente, die ich nur für mich habe immer seltener. Ebenso das Fokussieren auf Dinge, von denen man einfach mehr hat, so für sich ganz persönlich. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viele Stunden ich sinnlos damit verbracht habe, Katzenvideos zu schauen und diese mit Freunden zu teilen.
Wie wäre ein Leben ganz ohne den alltäglichen „Digital Overload“?
Deshalb frage ich mich: Wie wäre ein Leben ganz ohne den alltäglichen „Digital Overload“? Man kann es sich nur schwer vorstellen, was passieren würde, wenn wir alle plötzlich offline wären. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn der Druck ständig erreichbar zu sein, einfach abfallen würde. Wie sich unsere Beziehungen verändern würden, zu uns selbst und zu anderen Menschen. Und wie wir die viele Zeit, die wir im Netz verbringen, stattdessen nutzen würden. Auch wenn natürlich nicht alles gleich viel schöner wäre, ohne das Internet (denn das ist definitiv nicht so), glaube ich, dass sich viele Menschen wieder bewusster über ihr Handeln wären. Wir würden wieder mehr auf uns achten, anstatt auf andere – schlichtweg auch, weil jeder aufhören würde, sein Leben öffentlich zur Schau zu stellen.
Die Instagram-Devise „Was nicht gepostet wird, ist nicht passiert“ wäre endlich vom Tisch und die Paare aus meinem Freundeskreis hätten sich nicht auf Tinder, sondern ganz romantisch im Real-Life kennengelernt. Eine neue Bar im Viertel würde man wieder ganz oldschool mit einer Stadtkarte ausfindig machen und sich nicht mehr blind von Google Maps steuern lassen. Um die Uhrzeit zu erfahren, würde man nicht mehr Siri, Cortana und Alexa fragen, sondern einen realen, nicht virtuellen, Menschen ansprechen. Am Sonntagabend wäre nicht mehr Netflix und eine Tüte Chips vorprogrammiert, sondern andere Aktivitäten. Ein Bild malen, Tagebuch schreiben oder mal wieder zum Sport. Ohne nervige Unterbrechungen durch Whatsapp und Co. könnten wir so vieles tun, was wir uns schon lange vorgenommen haben. Das klingt so gut, aber leider auch sehr utopisch.
Von dem Szenario eines Digital Breakdowns sind wir weit entfernt. Also muss eine andere Lösung her. Um unserem Smartphone nicht mehr so viel Macht über uns zu geben, müssen wir vielleicht etwas reflektierter an die Sache rangehen: Unser Nutzungsverhalten eindämmen und ganz bewusst darüber nachdenken, in welchen Momenten wir das Smartphone zücken. Denn am Ende ist die Rechnung wahrscheinlich eine einfache: Die Dosierung macht den Unterschied.
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