Unsere Autorin Andrea Glaß hat bereits eine Hochzeit und eine Scheidung hinter sich. Als sie auf einer Party jemandem begegnet, der demnächst heiraten wird, fragt sie sich, ob sie noch einmal bereit für die Ehe wäre – und was sie diesmal anders machen würde.
Pandemiebedingt restlos unterspaßt nehme ich ohne weitere Nachfragen die Einladung einer Freundin an, ihr Plus-eins auf einer Party zu sein. Es ist einer ihrer kindfreien Abende, den sie für ein bisschen Ausgelassenheit nutzen will. Völlig overdressed finde ich mich also auf einer übervollen Geburtstagsfeier wieder. Während meine Freundin mit großem Hallo begrüßt wird, schlage ich mich im Küchenstroboskop und Itz-itz-Stakkato aus den gnadenlos übersteuerten Boxen zu den Getränken durch. Auf dem Buffet steht ein angegrauter Mett-Igel, in dem eine goldene 24 steckt, daneben Wodka-Wackelpudding und ein Gummidildo. Oha! Ich bin auf einer Studierendenenparty gelandet! Mit meinen 39 Jahren fürchte ich, dass ich hier ziemlich deplatziert bin. Meine Freundin mag jüngere Männer, die fühlt sich sichtlich wohl. Sie kommt grinsend mit einem zerzausten Skatertypen im Arm auf mich zu und stellt mir den Gastgeber vor: „Das ist Jury“, sagt sie. „Er hat heute Geburtstag.“ Jury sieht aus wie lebendiges Instagram, makellos, unbedarft und bereit, die Bude heute Abend abzufackeln. „Jury heiratet nächsten Monat“, setzt meine Freundin nach.
„Für immer“ ist sehr lang, wenn man 24 ist
Wir grinsen alle drei und als ich „Glückwunsch!“ rufe, habe ich plötzlich weniger Angst davor, gesiezt zu werden, als vor der Frage: „Würdest du noch einmal heiraten?“, denn auch ich habe mit 24 geheiratet. Zehn Jahre später saß ich allerdings beim Familiengericht, um diese Entscheidung rückgängig zu machen. Seitdem werde ich nicht selten nach meiner Meinung zur Ehe gefragt. Meistens antworte ich: „Wenn man 24 ist und den berühmten Bund fürs Leben eingeht, hat man entweder gar keine Ahnung von der Liebe – oder sehr viel.“
Das durchschnittliche Alter von ehewilligen Ersttäter*innen lag 2020 hierzulande bei 34 Jahren unter den Männern und 31,6 Jahren unter den Frauen. Der Skaterboy ist also statistisch gesehen zehn Jahre zu früh dran. „Warum also jetzt schon die Ehe, Jury?“, brennt es mir unter den Nägeln, als die zerrende Geige von Britney Spears „Toxic“ die beiden auch schon in Richtung Tanzfläche abkommandiert. Ich nehme mir einen Wodka-Wackelpudding und frage mich auf einmal, was eigentlich mit mir los war, als ich mich mit 24 zur Ehe entschloss?
In der DDR war man mit Mitte 20 spät dran
Ich bin in einer ostdeutschen Kleinstadt der 80er-Jahre groß geworden. In meinem Umfeld sah ich nahezu ausnahmslos die tradierte Ehe als einzig gültiges Lebensmodell. Das hatte im Sozialismus ganz praktische Gründe: In der DDR war von zu Hause auszuziehen für junge Leute nicht ohne weiteres möglich. Liebespaare mit Unabhängigkeitsdrang heirateten nicht selten, um Anspruch auf eine Wohnung zu haben. Mit dem Status „verheiratet“ gabs dann auch ganz leicht Kohle für die Familiengründung. Alle Paare unter 26 mit geringem Einkommen hatten Anspruch auf einen Ehekredit. Kinderkriegen war der nächste logische Schritt, denn für jedes in der Ehe geborene Kind musste weniger Geld zurückgezahlt werden. Und da war sie, die omnipräsente heteronormative Kleinfamilie mit Ehepartner*innen weit unter 30. Die anschließende Disney-Prägung nach der Wende trug ihr Übriges zum illusorischen Liebesideal bei. Für mich zählte also nur das überbordende „Für immer“ als große, wahre Liebe.
Liebe neu lernen
Leider musste ich erkennen, dass ich überhaupt keine Ahnung von der Liebe hatte, von der Ehe schon gar nicht. Allein der Zeitrahmen sprengte meine Vorstellungskraft. „Für immer“ war eher ein Ausrufezeichen des momentanen Gefühls und viel weniger ein Bewusstsein dafür, dass sich dahinter ein sehr langer gemeinsamer Weg mit den bekannten Höhen und Tiefen verbirgt. Es war ein „Für immer“ unter der Voraussetzung, dass alles so bleibt, wie es ist: grandios, einfach und ohne Probleme. Der emotionale Zustand bei der Hochzeit als Maßstab für den Alltag. Das war natürlich illusorisch, denn absolut gar nichts bleibt, wie es ist. Nicht mal der Mensch, den du heiratest. Meine Vorstellung von Liebe glich eher dem Wunsch nach permanenter Bewunderung durch meinen Ehepartner. Mit diesem Anspruch musste ich mir auch nie die Frage nach den eigenen Fehlern, Ängsten oder Unzulänglichkeiten stellen, geschweige denn, mit denen des Partners umgehen lernen. Als aus dem Beifallklatschen dann immer häufiger Türenknallen wurde, fühlte ich mich nicht nur um die Liebe betrogen, sondern auch gleich noch um mein Selbstwertgefühl.
Nach dem Ende meiner Ehe suchte ich völlig orientierungslos und desillusioniert eine Therapeutin auf, die ordentlich zu tun hatte, das verletzte Tier hinter der bissigen Fassade hervorzuholen. Als es dann zum Vorschein kam, begann ich langsam zu begreifen, dass meine Auffassung von Liebe als permanenten Dopaminrausch unweigerlich zum Scheitern führen musste. Es war an der Zeit, Liebe ganz neu zu lernen. Die Gelegenheit dazu kam: Ich verliebte mich wieder in einen Mann und den wollte ich so viel lieben, wie es nur geht; das ganz tiefe Gefühl, aber gleichzeitig hatte ich auch tierischen Schiss. Ich musste alles riskieren, um alles zu kriegen.
Wer heiraten will, muss lieben können
Die Liebe ist ein absolutes Wagnis – egal, wie alt du bist. Das Beste, was ich also als Geschiedene zu bieten habe, ist die folgende Erkenntnis: Die eigentliche Frage ist: Was bist du bereit zu tun, um wahrhaft zu lieben? Um rauszukriegen, ob ich wieder bereit für die Ehe wäre, stelle ich mir folgende fünf Fragen:
1. Was erwartest du vom Leben?
Je besser du dich selbst kennst, desto genauer weißt du auch, was du vom Leben willst. Kläre das für dich und sprich mit deiner*m Partner*in darüber. Will er*sie keine Kinder, du aber schon? Das kann zu unüberbrückbaren Differenzen führen. Das kreuzt man dann auf den Scheidungspapieren an. Redet vorher darüber.
2. Was erwartest du von der Liebe?
Verliebt sein ist irre toll. Die Wissenschaft sagt, dass dieses Gefühl wie ein Kokainrausch ist. Der muss wieder aufhören, weil du sonst nicht lebensfähig bist. Liebe ist dagegen eher wie ein täglicher Schokokuchen: immer lecker, aber manchmal auch zu trocken. Dann und wann ist er aber perfekt, der Kern noch flüssig und man kann sein Glück kaum fassen.
3. Kannst du mit Realitäten umgehen?
Manche Dinge gelten als unromantisch. Eheverträge zum Beispiel – wenn es ein Ungleichgewicht in der finanziellen Ausgangslage gibt, vergiss nie: Sollte dein*e geliebte*r Partner*in doch irgendwann mit einer anderen Person durchbrennen, wird nach der Scheidung dein Hab und Gut halbiert und du siehst auf Insta dabei zu, wie die beiden auf Bali ihre neue Liebe feiern. Sprecht über Sex, Bedürfnisse, Geld, Erziehung, Hausarbeit und mit Blick auf die Scheidungsstatistik sogar über einen Ehevertrag.
4. Bist du bereit zu scheitern?
Du kannst heiraten und trotzdem du selbst bleiben. Du bist auch ohne Ehe, ohne Partner*in komplett. Eine Liebe kann enden, auch wenn du der absolute Profi in Sachen Beziehung bist. Du bist nicht die Beziehung. Bleib du selbst.
5. Liebst du dich selbst?
Klar kannst du ein unfassbar heißes Unterwäschemodel mit Doktortitel heiraten. Jemanden, der dich auf Händen trägt und dir jeden Wunsch von den Augen abliest. Wenn du deine Liebe nicht aus dir und einem sicheren Selbst herausholst, bleibst du immer an der Oberfläche. Ein gutes Selbstbewusstsein ist der Schlüssel zu einer guten Beziehung. Du brauchst dann nämlich kein Drama oder permanente Selbstbestätigung durch heimliche Affären. Du liebst dich selbst genug, um jemand anderen lieben zu können.