Foto: CareerFoundry

In diesem Startup entscheiden die Mitarbeiter über das Gehalt ihrer Kollegen – eine gute Idee?

Wer befördert wird und mehr Gehalt bekommt, das entscheiden bei dem Startup CareerFoundry die Mitarbeiter. Wie läuft das genau ab? Das haben wir die Gründerin Raffaela Rein gefragt.

 

„Wer den Mitarbeitern Vertrauen schenkt, bekommt ganz viel zurück“

Wer etwas ändern will, muss etwas wagen. Genau das haben Raffaela Rein und Martin Ramsin gemacht – denn sie haben im Jahr 2016 eine vollkommen neue Unternehmstruktur in dem von ihnen gegründeten Startup CareerFoundry eingeführt. Dazu gehören: eine vollkommene Gehaltstransparenz und es die Mitarbeiter entscheiden zu lassen, wie viel Urlaub sie nehmen, wann sie Home Office machen und welcher Kollege oder welche Kollegin eine Beförderung verdient. Kann das funktionieren?

Wir haben mit Raffaela Rein über die Herausforderungen und Erkenntnisse durch die neue Unternehmenskultur gesprochen.

Bei euch kennt nicht nur jeder das Gehalt des Anderen, sondern es werden auch die Gehaltserhöhungen gemeinschaftlich festgelegt. Warum habt ihr euch zu diesem Schritt entschieden?

„Wir wollten eine Kultur schaffen, in der jeder sich voll einbringen kann und sich als Geschäftsführer fühlt sowie verhält – mit voller Verantwortung und vollem Engagement. Das kann man mit einer traditionellen Hierarchie-Pyramide nicht erreichen. Denn mit dieser gibt es nur ein paar wenige Entscheidungsträger und alle anderen machen einfach mit, aber ohne sich wirklich vollends verantwortlich zu fühlen. Das wollten wir ändern und die logische Konsequenz einer solchen Umstrukturierung der Hierarchie ist eben auch, dass jeder beim Gehalt mitbestimmen kann.“

Wurde diese Entscheidung von allen begrüßt oder waren eure Mitarbeiter auch skeptisch, ob das nicht auch zu Missstimmung führen könnte?

„Ehrlich gesagt haben wir kaum Rückmeldungen dieser Art bekommen, als wir mit dem Vorschlag kamen. Wahrscheinlich weil das Team sich mit der grundsätzlichen Idee der flachen Hierarchie sehr gut anfreunden konnte und dieser Schritt eben dazu gehört, um den Mitarbeitern zu zeigen: Ihr seid jetzt wirklich mit in der Verantwortung.“

Also gab es am Anfang gar keine Probleme?

„Doch, bei der Einführung der Gehaltstransparenz gab es schon ein paar Probleme. Denn natürlich gab es ein paar Mitarbeiter, die weniger als andere verdienten, obwohl sie schon länger dabei waren oder denselben Job machten. Das hatte den Grund, dass sie von Anfang an dabei waren – damals hatten wir noch nicht viel Geld und konnten keine horrenden Gehälter zahlen. Diese Anpassung hat uns relativ viel gekostet, das war relativ schmerzhaft für uns. Aber andererseits hatten die Leute einen echten Grund, sich zu beschweren und es war nur fair das anzugleichen. Außerdem blieben diese erfahrenen Mitarbeiter so bei uns und das zahlt sich auch für uns als Unternehmen aus.“

Gab es bei euch einen Pay Gap zwischen Männern und Frauen?

„Nein, das gab es bei uns noch nie. Wir hatten für unsere Mitarbeiter schon immer feste Gehaltsstufen, heute kann diese jeder einsehen, zuvor haben wir aber auch damit gearbeitet. Wie man eingestuft wird, ergibt sich durch die Berufserfahrung, das Geschlecht spielt dabei keine Rolle.“

Ist es denn tatsächlich fairer, wenn die Kollegen das Gehalt bestimmen und nicht Chef oder Chefin? Schließlich können auch da Fehlentscheidungen getroffen werden. Die Gefahr liegt doch darin, dass immer wieder sehr beliebte Kollegen nominiert werden und andere unter den Tisch fallen.

„Ja, davor hatten wir in der Tat auch Angst. Und auch davor, dass sich die Leute untereinander absprechen und sagen: ‚Dieses Mal schlage ich dich vor und das nächste Mal du mich.‘ Oder dass sie sich ausschließlich selbst nominieren – aber all das ist bisher nicht passiert und ich glaube, das ist aus einem ganz einfachen Grund so: wenn du Mitarbeitern Verantwortung gibst, dann tragen sie diese auch. Unsere Erfahrung zeigt, dass keine Spielchen gespielt werden, sondern sich wirklich überlegt wird, wer die Gehaltserhöhung oder die Beförderung verdient.“

Wird euer Gehalt als Gründer eigentlich auch von Mitarbeitern mitbestimmt oder habt ihr das für euch anders geregelt?

„Theoretisch sollte das so sein, ja. Es ist aber mit unserer Firmenstruktur nicht möglich, weil bei uns unsere Investoren das Recht haben, das Geschäftsführer-Gehalt zu bestimmen.“

Auch über die Tage im Home Office und den Urlaub kann jeder entscheiden. Das klingt erst einmal gut, kann aber auch Probleme hervorrufen. Zum Einen, dass das ausgenutzt wird und zum Anderen, dass sich die Mitarbeiter zu wenig Urlaub nehmen. Wie habt ihr das erlebt?

„Den Fall, dass sich die Mitarbeiter zu wenig Urlaub nehmen, hatten wir im letzten Jahr tatsächlich. Das ist schon alleine deshalb problematisch, weil sich Arbeitnehmer in Deutschland pro Jahr mindestens 24 Tage Urlaub nehmen müssen. Wir mussten die Leute also Ende des Jahres fast dazu zwingen, ihren Urlaub zu nehmen, das war wirklich krass (lacht). Deshalb haben wir auch dieses Jahr ganz am Anfang des Jahres unsere Mitarbeiter darauf eingeschworen, dass sie wirklich darauf achten müssen, ausreichend Urlaub zu nehmen und sich das einplanen müssen. Ausgenutzt hat niemand die Situation und da kommt wieder die Verantwortung ins Spiel. Die Mitarbeiter wissen ja auch, dass diese Regelung etwas Besonderes ist und dass wir ihnen wirklich wertschätzendes Vertrauen entgegenbringen – das wird von ihnen gut behandelt.“

Welche Herausforderungen birgt eine flache Hierarchie noch? Können wirklich alle Entscheidungen ohne eine verantwortliche Führungsposition getroffen werden oder führt das dann auch mal zu Chaos? Was ist der Vorteil, und auch der Nachteil, wenn quasi alle Chef sind?

„Ganz so ist es ja nicht. Man stellt sich das immer so vor, als würde man die Struktur eines traditionellen Unternehmens einfach an flache Hierarchien anpassen. Aber das funktioniert nicht, sondern es müssen ganz neue Prozesse und Strukturen geschaffen werden. Wir haben etwa sechswöchige Projektzyklen, in denen verschiedene Projekte gepitcht und durchgeführt werden, für jedes dieser Projekte gibt es einen Projektleiter. Für diese sechs Wochen ist dieser Mitarbeiter verantwortlich für die Ziele und das Team – das bedeutet auch, dass etwa Feedbackgespräche mit den Teammitgliedern geführt werden müssen, wenn nicht die gewünschten Ergebnisse kommen. Beim nächsten Projekt übernimmt dann wieder ein anderes Teammitglied die Führung. Es gibt also auch in dieser Struktur immer jemanden, der eine endgültige Entscheidung alleine treffen kann. Für uns funktioniert das sehr gut.“

Macht es diese Unternehmensorganisation im Vergleich zu einer traditionellen Struktur leichter, mehr Diversität in die Führungsebene zu bringen?

„Eine sehr gute Frage. Für mehr Diversität kann es ja mehrere Hebel geben. Wir haben etwa bei uns auf Gründer-Ebene mit mir und meinem Partner schon einen 50/50-Anteil und ich glaube, das beeinflusst das ganze Team. Denn jeder, der hier arbeitet, ist bereit, für eine Frau zu arbeiten – das ist nicht selbstverständlich. Deshalb sind unsere Mitarbeiter von vorneherein Frauen in Führungspositionen gegenüber offen eingestellt. Das bedeutet also, je mehr Frauen es in Führungspositionen gibt, umso besser wird auch die Diversität auf den unteren Leveln. Aber ich würde auf jeden Fall sagen, dass auch unser Peer-Prozess zu mehr Aufstiegschancen beiträgt, sei es für Frauen oder auch für Menschen mit einem anderen kulturellen Background. Denn dabei geht es eben entschieden um Leistung und nicht darum, ob man abends mit dem Chef noch ein Bier trinken oder am Wochenende golfen geht. Es geht nicht um Sympathie, sondern um das Ergebnis der eigenen Arbeit – und das ist in jedem Fall fairer sowie objektiver.“

Unsere Arbeitskultur ist grundsätzlich erst einmal eine misstrauische. Dass Leistung aus eigenem Antrieb kommt, wird häufig angezweifelt. Was gewinnt man, wenn man seinen Mitarbeitern vollkommen vertraut?

„Nun, natürlich ist es nicht immer leicht und auch ich habe mal Momente des Misstrauens. Aber dann rufe ich mir ins Gedächtnis, wie ich im Home Office arbeite: meistens härter als im Büro. Und das entsteht genau aus dieser Sorge heraus, jemand könnte denken, dass ich den Tag vertrödele. Ich gehe davon aus, dass es meinen Mitarbeitern ähnlich geht. Letztlich führt Vertrauen dazu, dass Angebote nicht ausgenutzt werden, sondern jeder Selbstverantwortlichkeit gewinnt. Unsere Mitarbeiter fühlen sich alle wie Geschäftsführer. Das macht was mit den Menschen.“

Sicherlich hat nicht alles von Anfang an so funktioniert wie gedacht. Was musste nach dem ersten Jahr angepasst werden?

„Wir hatten nicht alle Prozesse, die wir jetzt haben, von Anfang an. Neu hinzu kamen etwa die vorhin angesprochenen Projektzyklen, bei denen unterschiedliche Mitarbeiter die Verantwortung übernehmen. Das einzuführen hat uns geholfen, die Effizienz zu erhöhen. Auch haben wir unseren Promotion-Zyklus angepasst, indem wir die Resultate des Einzelnen noch deutlicher in Zahlen zeigen. Denn nicht jeder Mitarbeiter weiß eben ganz genau, was der andere Mitarbeiter geleistet hat – ganz besonders, wenn er nicht im eigenen Team ist. Und nur anhand klarer Daten kann man eben auch objektiv entscheiden. Mit unserer Unternehmensstruktur müssen wir definitiv mehr über Prozesse nachdenken als mit einer traditionellen, aber wir bekommen dafür auch viel mehr an Leistung und Einsatz von unseren Mitarbeitern zurück. Für uns hat sich das alles gelohnt.“

Mehr bei EDITION F

Waldemar: „Bei uns kann jetzt jeder Mitarbeiter selbst über Urlaub und Gehalt bestimmen” Weiterlesen

Warum sprechen wir nie über unser Gehalt? Weiterlesen

Was passiert, wenn ein Unternehmen den Chef abschafft. Weiterlesen

Anzeige