Foto: Kleiner 5

Paulina Fröhlich: „Die Chance ist da, dass die AfD nicht in den Bundestag einzieht”

Am 24. September wird in Deutschland gewählt. Die Initiative Kleiner 5 will mit radikaler Höflichkeit verhindern, dass die rechtspopulistische AfD in den Bundestag einzieht. Ein Interview.

 

Wahlziel: Rechtspopulismus unter 5 Prozent halten 

Knapp sechs Wochen sind es noch bis zur Bundestagswahl. Bisher deuten eigentlich nur die seit 7. August hängenden Wahlplakate daraufhin, dass der Wahlkampf nun in seine heiße Phase gehen müsste. Angela Merkel zum Beispiel ist erst mit einer Rede in Dortmund am Samstag in das eingestiegen, was man aus aktueller Perspektive kaum wagt, ein Rennen zu nennen. Während man sich also durchaus  fragen kann, was für einen Unterschied es überhaupt macht, ob jetzt CDU oder SPD stärkste Kraft werden, ob es bei einer großen Koalition bleibt oder Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün an die Macht kommen, wird diese Wahl für viele Menschen in Deutschland an ganz anderer Stelle entscheidend sein. Nach neuester Wahlumfrage liegt die AfD bei 8 Prozent. Wird die AfD in den Bundestag einziehen? Oder gar drittstärkste Kraft werden? Sollte dies der Fall sein, könnte diese rechtspopulistische Partei ihre oft rassistische, sexistische und diskriminierende Politik im Bundestag einbringen und mit Steuergeldern vorantreiben und damit für viele Menschen, nämlich all diejenigen, gegen die sich ihre menschenfeindliche Politik richtet, eine ernsthafte Bedrohung darstellen.

Eine Initiative, die sich deshalb gegen den Einzug der AfD einsetzt, ist Kleiner 5. Der Name steht dabei für die 5-Prozent-Hürde, an der die AfD scheitern soll. Gegründet letztes Jahr im August von 13 jungen Menschen, die sich für Vielfalt und gegen Rechtspopulismus in Deutschland stark machen wollen, hat der Verein mittlerweile 150 Mitglieder. Mit Informationsmaterial, Podiumsdiskussionen und einem Crowdfunding, das noch bis heute Abend läuft, wollen sie für die Menschen da sein, die in ihrem direkten Umfeld mit rechtspopulistischen Tendenzen zu tun haben. Mit speziell entwickelten Leitfäden versuchen sie diese Menschen dabei zu unterstützen, ihre Familie, Freunde oder Arbeitskolleginnen argumentativ und „radikal höflich” – der Leitspruch der Initiative – davon zu überzeugen, dass Vielfalt ein Gewinn für alle ist. Darüber, warum das so wichtig ist, wie es gelingen kann und welche Erfahrungen sie seit der Gründung des Vereins mit Hate Speech gesammelt haben, haben wir mit Paulina Fröhlich, der Pressesprecherin von Kleiner 5 gesprochen.

Liebe Paulina, was steht aus eurer Sicht am 24. September auf dem Spiel?

„Aus unserer Perspektive steht etwas sehr Großes auf dem Spiel – und zwar die Frage, ob eine rechtspopulistische Partei wie die AfD in den Bundestag einziehen wird und damit Sitze erhält, pro Sitz wiederum Geld erhält und mit Geld letztendlich viel machen kann, um die kommenden Jahre arbeiten zu können: eine Stiftung zu gründen zum Beispiel und damit ideologische Nachwuchsarbeit zu leisten. Und noch mehr in den Medien präsent zu sein als ohnehin schon, Einfluss zu haben auf die Regierung, wenn sie in der Opposition sitzen. Und somit mit ihrem gestrig gewandten Gedankengut mehr und mehr in unserer Gegenwart präsent sein zu können.”

Was genau versucht ihr mit Kleiner 5 dagegen zu tun?

„Im Namen steckt unser Hauptziel ja schon drin: Wir möchten, dass rechtspopulistische Parteien wie die AfD weniger als 5 Prozent bekommen und somit nicht in den Bundestag einziehen können. Wie wir das erreichen wollen? Wir haben uns eine Nische gesucht zwischen den vielen, vielen Initiativen, die es schon gibt in Deutschland und die großartige Arbeit für Demokratie und Vielfalt leisten: Kleiner 5 ist für Menschen da, die mit ihrer eigenen Familienangehörigen oder Freunden mit rechtspopulistischen Tendenzen sprechen möchten, aber noch nicht wissen, wie. Wir erarbeiten Leitfäden, Werkzeuge und spielerische Motivation, damit Leute das Gespräch mit ihren Freunden oder ihrer Familie suchen können, wenn diese einen rechtspopulistischen Kommentar machen.

Unsere Schneeballtheorie, unsere Theory of Change, lautet: Wenn wir das Gespräch über rechtes Gedankengut mit unseren engsten Angehörigen anfangen, kann das, im Gegensatz zu einer Diskussion zwischen Fremden, ein Gespräch auf Augenhöhe sein. Diese persönliche Verbindung, glauben wir, führt am ehesten dazu, dass derjenige sich die Argumente zu Herzen nimmt.”

Wie ist eure Initiative denn entstanden?

„Im August feiern wir tatsächlich Einjähriges. Kleiner 5 ist entstanden, als die AfD in Umfragen bei 17 bis 20 Prozent stand. Damals haben sich zwei von uns im gemeinsamen Gespräch gefragt, wie das sein kann und sich daraufhin dazu entschlossen, in ihren jeweiligen Freundeskreis nach Leuten zu suchen, die der Problematik auf den Grund gehen wollten. Die daraus entstandene Gruppe aus Interessenten hat sich dann im August 2016 für einige Tage in der Uckermark getroffen. Die Fragen, die wir uns gestellt haben, lauteten: Wo ist unsere Position im Wahljahr? Was ist Rechtspopulismus? Welche Initiativen dagegen gibt es in Deutschland schon? Und was fehlt uns? Welche Lücke könnten wir füllen. Und daraus ist Kleiner 5 entstanden. Die 13 Gründungsmitglieder sind immer noch dabei, wir sind seit dem nur immer weiter gewachsen und durch viele Dinge gemeinsam durchgegangen.”

Macht ihr eure Arbeit alle ehrenamtlich?

„Wir haben uns sehr viel beraten lassen von Menschen, die schon sehr viel länger in diesem Bereich aktiv sind. Und die haben uns eigentlich alle geraten, hauptverantwortliche Personen zu haben. Wenn diese Art der Arbeit nur auf ehrenamtlichen Schultern lastet, dann kann es irgendwann zusammen brechen: ,Ihr braucht Leute, deren Job Kleiner 5 ist.‘ Das haben wir uns zu Herzen genommen. Wir werden allerdings nur durch private Spenden finanziert, deshalb hat es etwas gedauert, aber sobald es ging haben wir im März drei feste Stellen geschafft: Öffentlichkeitsarbeit, Künstlerische Leitung sowie Inhalt und Analyse. Wir managen und koordinieren die AGs. Der Rest ist ehrenamtlich engagiert.”

Um Leitfäden zum richtigen Umgang mit Rechtspopulismus zu entwickeln, braucht man ja einiges an Expertise. Wie seid ihr als „Laien” zu Experten geworden?

„Neben den Spenden, die wir von Anfang an gesammelt haben, um überhaupt arbeiten zu können, haben wir von Beginn an primär ideelle, fachliche Unterstützung gesucht: Beraterinnen und Berater, Agenturen, Designerinnen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Unterstützung in Form von Trainings – und wenn es nur für eine Stunde wäre – gebeten. Darauf haben wir erfreulicherweise viel positives Feedback bekommen. Die AG, die für Inhalt und Analyse zuständig ist, hatte noch einmal Extra-Trainings zum Framing und ihre Mitglieder haben natürlich wahnsinnig viele wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema gelesen. Und auch wir anderen haben uns Themen gesucht, die unsere Fachbereiche geworden sind. Wir hatten eine Schreibwerkstatt, einen intensiven Social-Media-Workshop und Beratung zur Öffentlichkeitsarbeit. Darüber haben wir immer wieder Rücksprache gehalten, uns ausgetauscht und eine gemeinsame Kleiner 5-Sprache gefunden. Das war natürlich total viel Arbeit, aber es war auch total spannend. Diese kurzen Trainingseinheiten waren ein bisschen wie das Beste aus drei Jahren Uni.“

An wen richtet ihr euch?

„Ein bisschen größenwahnsinnig haben wir uns eine sehr große primäre Zielgruppe gesucht: Wir beschränken uns weder durch Alter, noch durch Geschlecht oder Region. Die primäre Zielgruppe sind alle Menschen, die ein Problem mit Rechtspopulismus im direkten Umfeld haben und die Informationen und Werkzeuge brauchen, um ein sinnvolles Gespräch zu führen. Das kann meine Oma, meine kleine Schwester oder mein Vater sein. Der kleinste gemeinsame Nenner unserer Zielgruppe ist das Bauchgefühl: Hier stimmt etwas nicht. Und ich möchte was tun, aber weiß nicht was. Die sekundäre Zielgruppe sind dann die Menschen, die unsere primäre Zielgruppe erreicht, die Menschen mit denen sie sprechen, der Auslöser der Bauchschmerzen sozusagen.

Also, zwar ist unser jüngstes Mitglied 15 und unser ältestes um die 60, die Meisten von Kleiner 5 sind jedoch Ende 20, Anfang 30. Und dementsprechend können wir Menschen in unserem Alter vielleicht am besten ansprechen. Sie können sich unsere Werkzeuge leicht aneignen, kennen das Prinzip von Klicken, Liken, Sharen. Aber wir erreichen auch Ältere und Jüngere. Aber wenn jemand noch eine tolle Idee hat, wie man die eigene Blase so richtig durchbrechen kann, immer her damit.”

Und was sind eure Pläne für die verbleibenden Wochen bis zur Wahl?

Wir haben drei Formate in der Pipeline bis zur Bundestagswahl. Das erste: ,Ohne Migrationsgeschichte‘, ist ein Posterformat, das großflächig in Deutschland plakatiert werden soll und das darauf hinweist, wie viel ärmer wir in Deutschland ohne Migrationsgeschichten wären, menschlich ebenso wie fachlich. Dann wird es ,Wo ist Horst‘ geben, Horst ist unser Bundesadler, der mit einigen Freunden abgehauen ist und sich versteckt, weil gewisse Menschen ihm einige Federn ausreißen wollen: Religionsfreiheit, Würde des Menschen und andere Grundgesetz-Federn. Deswegen versteckt er sich bei Kleiner 5 und wird gesucht. Und alle Menschen können nun helfen Horst und seine Freunde, Frieda, die Friedenstaube und Karlo, den bunten Hund, wieder stärker zu machen und zurückzubringen. Das ist ein sehr spielerisches Format, für das es eine eigene Neben-Website geben wird. Das dritte ist das ,Spiel der radikalen Höflichkeit’. Radikale Höflichkeit ist unser Motto in Diskussionen mit rechtspopulistischen Aussagen. Das Spiel, das wir nun entwickelt haben, stellt vier Situationen nach, Familie, Büro, Freunde, WG, und jeweils vier Reaktionsoptionen wie bei so einem Bravo-Baumdigramm von früher. Das geht diese Woche online.

Wir sind natürlich auch noch viel unterwegs: Wir fahren eineinhalb Wochen im Bus der Begegnung mit, wir machen noch einige Podiumsdiskussionen, ein Festival, einen Award, wir planen ein Aktionswochenende am Wochenende der Wahl.”

Welche Erfahrungen habt ihr mit Trollen und Hate Speech gemacht?

„Es ist nun mal leider so: Sobald man in die (digitale Öffentlichkeit) tritt und sich für etwas ausspricht, wird man angegriffen. Und jetzt sind wir auch noch viele Frauen, die sich für etwas Liberales aussprechen, das bietet, warum auch immer, sogar doppelt Angriffsfläche. Wir haben vor allem auf unserer Facebook-Seite mit Hass zu kämpfen. Es gibt aber auch einige kritische Kommentare. Nicht alle Kritik ist Hate Speech. Da sind auch Leute dabei, die uns und das, was wir machen richtig dumm finden – und das ist auch okay. Unsere sehr aufwendige Strategie ist es, auf alle Kommentare zu antworten. Wir nehmen jeden Kommentar ernst und stellen eigentlich immer eine Gegenfrage – meistens weil wir auch einfach wirklich nicht verstehen, was konkret gemeint ist. Und daraus entsteht meist tatsächlich ein Dialog. Wenn dieser Dialog nur zu Beschimpfungen führt, beenden wir ihn radikal höflich. Einige stark rassistische und sexistische Kommentare haben wir schon bei Facebook angezeigt und waren damit erfolgreich.

Wir haben uns natürlich auch intensiv mit dem Thema Hate Speech auseinandergesetzt, uns von Menschen beraten lassen, die dem schon länger ausgesetzt sind. Ich persönlich habe das Gefühl, dass uns die Auseinandersetzung damit stärker gemacht hat, denn wenn man sich mit Hate Speech intensiv auseinandersetzt, sieht man wie arm, wie schwach vieles davon einfach ist.”

Wie ist euer Gefühl sechs Wochen vor der Wahl?

„Wir hoffen natürlich alle, dass die AfD nicht in den Bundestag einzieht. Wir glauben an eine hohe Wahlbeteiligung und daran, dass diese Wahlbeteiligung der stärkste Hebel sein wird, um die Prozentzahl der AfD klein zu halten. Wir glauben auch an die Überzeugungskraft unserer Leitfäden und die Gespräche, die Freundinnen und Freunde von Kleiner 5 mit deren Hilfe führen. Außerdem glauben wir auch an all die anderen tollen Initiativen da draußen. Deswegen glaube ich, die Chance ist da, dass die AfD draußen bleibt. Und es würde mich und uns natürlich riesig freuen, wenn es klappt.

Wenn sie einziehen, was genauso gut sein kann, wird es einstellig sein. Und wir werden da sein – nicht nur zur Bundestagswahl, sondern auch die Jahre danach. Wir werden ihnen genau auf die Finger schauen und beobachten, was sie tun. Genauso werden wir auch die anderen Parteien im Bundestag im Umgang mit der AfD beobachten, ob sie rechtes Gedankengut übernehmen oder sich mit der AfD verbünden. Wir glauben, dann ist sehr, sehr große Vorsicht geboten.

Trotzdem sollten wir nicht traurig sein, wenn Kleiner 5 – was ein sehr größenwahnsinniges Ziel war als wir entstanden sind – nicht klappt, sondern uns über all die Menschen freuen, die bereits aufgewacht sind und Lust haben, Haltung zu zeigen. Diese Motivation wollen wir dann mitnehmen und in positive Energie umwandeln.”

Kleiner 5 ist nach der Wahl also nicht vorbei?

„Nein, vom ersten Tag an war uns klar, dass wir nicht zu denen gehören wollen, die einmalig zur Bundestagswahl aktiv werden und dann wieder verschwinden. Kleiner 5 wird weitermachen, allerdings erst einmal nur noch ehrenamtlich. Eine richtige Stelle wollen wir erst dann wieder schaffen, wenn wir diese auch fair, also mehr als den Mindestlohn, bezahlen können. Die Frage, die wir uns nach der Wahl intensiv stellen werden ist: Wie muss politisches Ehrenamt 2018 aussehen, damit es in den Alltag integrierbar ist, damit es keine Hürde und keine Bürde ist.”

Ihr wollt ein Zeichen für Vielfalt setzen? Das Crowdfunding von Kleiner 5 könnt ihr noch bis heute, den 14. August 2017, um 23.59 Uhr hier unterstützen. 

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