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#MeToo unless you’re a Jew – über fehlende Solidarität mit Jüdinnen

Beim Terroranschlag auf Israel verübten Hamas-Terroristen systematisch Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Unsere Autorin analysiert die weltweite Rezeption dieser Taten und beklagt die fehlende Solidarisierung feministischer Organisationen.


Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel thematisiert und schildert stellenweise explizite (sexualisierte) Gewalt.

Am Samstag, dem 7. Oktober 2023, verübten Terroristen der Hamas einen Terroranschlag auf Menschen in Israel, bei dem so viele Jüdinnen*Juden an einem Tag getötet wurden wie seit der Shoah nicht mehr. Auf den Tag sieben Wochen danach, am 25. November, findet der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt, ein Aktionstag, um auf Diskriminierung und Gewalt aufmerksam zu machen. Obwohl diese beiden Daten nicht allzu weit auseinander liegen, scheinen die brutalen Anschläge der Hamas und die durch sie systematisch ausgeübte sexualisierte Gewalt und Folter gegen israelische Frauen in Vergessenheit geraten – wenn sie denn je ins Bewusstsein getreten sind.

Zumindest haben etliche internationale Organisationen, die sich der Beendigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie dem Feminismus verschrieben haben, die Massaker und sexualisierte Gewalt der Hamas an israelischen Zivilistinnen nicht thematisiert oder verurteilt. Darunter finden sich große Frauenrechtsorganisationen wie UN Women, die sich am 20. Oktober besorgt über die vertriebenen Frauen aus Gaza zeigten, bis zu dem Zeitpunkt jedoch kein Wort über sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen in Israel verloren.

Weltweit gibt es zudem etliche aktivistische, sich als feministisch verstehende Gruppen, welche die Hamas-Massaker gar als Akt des Widerstandes gegen Israel feierten. Und auf tausenden weltweiten propalästinensischen Demonstrationen, die teilweise von Linken und Feministinnen organisiert worden waren, war die Gewalt der Hamas gegen jüdische Frauen kein Thema.

Auch im akademischen Betrieb, zum Beispiel in einem Brief für ein „Freies Palästina“ von 140 prominenten feministischen Gelehrten, darunter auch die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis, findet die brutale sexualisierte Gewalt gegen israelische Frauen keine Erwähnung. An der kanadischen Eliteuniversität Alberta wurde ein offener Brief veröffentlicht, der die durch die Hamas ausgeübte sexualisierte Gewalt infrage stellte. Hätte man von Menschen, die sich seit Jahrzehnten für Marginalisierte starkmachen, nicht mehr erwarten können?

Instrument psychologischer Kriegsführung

Bereits am 7. Oktober gab es eindeutige Videobeweise, die auf sexualisierte Gewalt hindeuteten. Hamas-Terroristen filmten viele ihrer Taten, um die Videos als Instrument psychologischer Kriegsführung einzusetzen. Der Sozialpsychologe Rolf Pohl bewertete in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ die Methode, sich selbst beim Vergewaltigen und Morden zu filmen, als „moderne Variante der Zurschaustellung von Kriegstrophäen, um die eigene Stärke doppelt zu demonstrieren.“ Aufnahmen der entblößten, blutenden und unter Allahu-Akbar-Rufen bespuckten Leiche der 22-jährigen Shani Louk sowie der 19-jährigen, im Intimbereich blutenden Na‘ama Levy, die an den Haaren von einem Palästinenser in einen Jeep gezerrt wird, gingen um die Welt.

In Großbritannien fabulierte die feministisch-aktivistische Gruppe Sisters Uncut dennoch davon, dass die Behauptungen von sexualisierter Gewalt durch die Hamas eine „islamfeindliche und rassistische Instrumentalisierung sexueller Gewalt“ seien. Dieses Narrativ verbreitete sich auch unter einigen, sich als antikolonial verstehenden Aktivist*innen und Blogger*innen. Zum Beispiel ging ein Post des linken Accounts @islamocommunism viral, in dem die Tatsache negiert wird, dass Frauen von der Hamas vergewaltigt wurden. Mehr noch: Die Behauptung wird mit einer jahrhundertealten, kolonialen Propagandaerzählung in Verbindung gebracht, laut der Schwarze und indigene Männer weiße Frauen vergewaltigen und ihre Kinder stehlen würden. Diese Erzählung sollte weißen Kolonialherren als Legitimation zur Gewalt gegen rassifizierte Männer dienen.

Nicht nur die Imagination von Jüdinnen als „weiß“ entbehrt jeglichen Wissens über die Diversität der israelischen Bevölkerung und der rechtsextremen Rassenlehre, nach der Jüdinnen*Juden nie als weiß und privilegiert galten, egal ob sie ashkenazisch oder mizrahisch sind. Auch der Glaube daran, dass rassifizierte und muslimische Männer nicht als Täter existieren können, zeugt von einer Anbiederung oder zumindest Ignoranz gegenüber der Ideologie des Islamismus und seiner Opfer. In einem Milieu, das sich ansonsten stets auf das feministische Konzept der Definitionsmacht und die Losung „Opfern glauben“ stützt, ist die Leugnung und Verächtlichmachung brutaler sexualisierter Gewalt und Folter gegen Jüdinnen nur durch eines erklärbar: Antisemitismus, der jüdische und israelische Frauen entmenschlicht.

Unsolidarische Öffentlichkeit

Oftmals sind es jüdische Aktivistinnen wie Noa Tishby oder Organisationen wie Jewish Women’s Aid oder die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland gewesen, die fassungslos das Wort ergriffen und die unzureichende Verurteilung der Hamas-Massaker anprangerten. „Solche Taten haben dauerhafte schädliche psychologische Auswirkungen auf Opfer sexualisierter Gewalt“, heißt es in einer Erklärung von Jewish Women’s Aid. Das öffentliche Schweigen vieler feministischer Organisationen verstärkt die Isolation und Angst, die viele Juden*Jüdinnen nun erleben. Sie fühlen sich nirgendwo mehr sicher. Eine derart unsolidarische Öffentlichkeit macht es Opfern sexualisierter Gewalt noch schwerer, über ihre Traumata zu sprechen.

Das israelische Frauennetzwerk Shdulat Hanashim schrieb am 26. Oktober gemeinsam mit 150 anderen Organisationen einen Brief an UN Women mit der Forderung, die Verbrechen gegen israelische Frauen anzuerkennen. Aus dem von ihnen gesammelten Material werde bereits deutlich, dass die sexuellen Übergriffe nicht sporadisch oder zufällig waren, sondern als Teil der koordinierten Mission und Kriegsführungstaktik eingesetzt wurden.

Die israelische Frauenrechtlerin Ruth Halperin-Kaddari, die von 2006 bis 2018 Mitglied des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau war, sagte in einem Podcast der israelischen Tageszeitung „Haaretz“, dass sie sich von den internationalen Frauenrechtsorganisationen, mit denen sie jahrelang zusammengearbeitet hat, „völlig verraten“ fühlt. „Wenn wir israelischen Frauen mit dem schrecklichsten Vorfall von ,konfliktbedingter sexueller Gewalt‘ konfrontiert werden, herrscht völliges Schweigen. Damit liefern sie auch all jenen Munition, die sich bereits an einer Leugnungskampagne beteiligen.“

Um Abhilfe zu schaffen, ging vergangene Woche die von israelischen Feministinnen ins Leben gerufene Kampagne #MeToo_Unless_Ur_A_Jew online, die UN Women und andere Feministinnen dazu auffordert, sich mit der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen israelische Frauen zu befassen. Auch die gegen sexualisierte Gewalt kämpfende Gruppe Slutwalk Jerusalem wandte sich in einem Brief an ihre feministischen Schwestern, worin sie klare Statements von Feministinnen auf der ganzen Welt dazu einforderten, dass Vergewaltigung kein Widerstand sein kann.

Mittlerweile hat UN Women die Anwendung sexualisierter Gewalt in Bezug auf den Nahostkonflikt verurteilt, der systematisch angewandten sexualisierten Gewalt der Hamas-Terroristen in Israel allerdings kein eigenes Statement gewidmet und gesondert vom Leid in Gaza verurteilt. Eine Ausnahme stellt UN Women Deutschland dar, die auf ihrer Website schreiben: „UN Women Deutschland e.V. verurteilt die terroristischen Angriffe der Hamas sowie die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen aufs Schärfste.“

Am Mittwoch kritisierte auch die gebürtig aus Burkina Faso stammende, belgische Politikerin Assita Kanko westliche Feministinnen für ihre Stille und Tatenlosigkeit: „Warum sind ihre Lippen verschlossen und ihre Herzen aus Stein, wenn es um jüdische Frauen geht? Die MeToo-Bewegung und die sogenannten intersektionalen Feministinnen interessieren sich nicht für alle Frauen, sie haben uns belogen. Mit ihren Handlungen unterstützen sie die Unterdrücker und nicht ihre Opfer. Ein tatsächlicher, nachhaltiger Waffenstillstand kann erst beginnen, wenn wir alle Geiseln zurück- und die Vergewaltiger vor Gericht bringen.“

Frauen und Mädchen jeden Alters

Von den etwa 240 in den Gazastreifen verschleppten Geiseln sollen etwa 100 Frauen und Mädchen jeden Alters sein. Die Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland berichtete in einem Forderungspapier von der Androhung von Menschenhandel und Zwangsprostitution in Geiselhaft. Die als Geiseln genommene 19-jährige Soldatin Noa Marciano sowie die 65-jährige Yehudit Weiss wurden ermordet von israelischen Soldaten im Gazastreifen aufgefunden. Noch immer werden Leichen auch in Israel geborgen. Darunter sind die entführt geglaubte Friedensaktivistin Vivian Silver oder die Mitarbeiterin des angegriffenen Supernova-Festivals Shani Gabay, die dermaßen brutal zugerichtet wurden, dass es mehr als fünf Wochen dauerte, ihre Überreste zu identifizieren.

Zwei Frauen umarmen sich bei der Beerdigungszeremonie für Vivian Silver, eine der Gründerinnen der Friedensbewegung in Israel, die am 7. Oktober ermordet wurde. Foto: Yahel Gazit | Getty Images

In Israel wurden unterdessen nach Angaben des israelischen Polizeipräsidenten Dudi Katz über 1.000 Aussagen aufgezeichnet und mehr als 60.000 Videoclips im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 7. Oktober gesammelt. Darunter befinden sich auch Berichte von Menschen, die Zeuginnen von Gruppenvergewaltigungen wurden. Unter der Leitung von Dr. Cochav Elkayam-Levy, einer Menschenrechtsexpertin an der Hebräischen Universität, wurde eine zivile Kommission eingerichtet, die Beweise für die von der Hamas verübten Gräueltaten gegen Frauen und Kinder dokumentieren soll. Gegenüber CNN sagte Elkayam-Levy, dass sie niemals alles erfahren würden, was den Frauen zugestoßen ist, weil die meisten Vergewaltigungsopfer auch ermordet worden sind.

Außerdem war es laut Ermittlerinnen aufgrund der schieren Menge an Leichen nicht mehr möglich, Vergewaltigungskit-Tests durchzuführen, bei denen Proben von Körperflüssigkeiten, Haaren und Kleidungsstücken entnommen werden, die das Vorhandensein fremder DNA nachweisen könnten. Solche Proben müssen innerhalb von 48 Stunden nach dem Verbrechen entnommen werden. Die Priorität war zunächst, alle Opfer zu identifizieren.

Schlachtfeld für antisemtischen und mysoginen Hass

Es gibt mehrere von der israelischen Polizei verifizierte Videos, auf denen verkohlte, missbrauchte Frauenleichen mit gespreizten Beinen und zerrissener oder ohne Unterwäsche zu sehen sind. Zudem existieren weitere Augenzeugenberichte von Überlebenden und Ersthelfern von entkleideten und geschändeten Frauen- und Mädchenleichen. An einigen Leichen wurden Spermaspuren sichergestellt. In aufgezeichneten und verifizierten Verhören gestehen einige gefangengenommene Terroristen, dass sie den Befehl hatten, israelische Zivilist*innen zu ermorden, zu vergewaltigen und zu entführen.

Ein Verdächtiger sagt, dass die entführten Frauen und Mädchen in Gefangenschaft vergewaltigt werden sollten. Ein weiterer Verdächtiger erklärte den israelischen Vernehmungsbeamten, er und seine Männer hätten die religiöse Erlaubnis erhalten, Kinder, Frauen und Alte zu töten. Er berichtete auch davon, wie seine Kameraden die Leiche einer jungen Frau vergewaltigten. Laut hochrangigen Sicherheitsbeamten gibt es mehrere gegenseitige Anschuldigungen Vergewaltigungen begangen zu haben unter den festgehaltenen Terroristen.

Israelische Forensiker*innen und Gerichtsmediziner*innen sind indes mit der Identifizierung der Toten und Dokumentation der Verbrechen beschäftigt. Shari, die mit einem Team weiblicher Freiwilliger die Leichen ermordeter Frauen reinigte, berichtete gegenüber Fox News von unübersehbaren Vergewaltigungsspuren: „Ihre Becken waren gebrochen, und es braucht wahrscheinlich eine Menge, um ein Becken zu brechen… Und das war auch bei Großmüttern bis hin zu kleinen Kindern der Fall. Das sind Dinge, die wir mit unseren eigenen Augen gesehen haben.“

Es ist unklar, wie viele der bestialischen Verbrechen gegen israelische Frauen und Mädchen noch ans Licht kommen werden, ob sie jemals aufgeklärt und die Täter belangt werden können. Es ist außerdem offen, wie viele Geiseln ihre Entführung überleben werden und was ihnen währenddessen angetan wurde. Überfällig ist, dass die feministische Bewegung endlich ihr Schweigen darüber bricht und sich solidarisch mit jüdischen und israelischen Frauen zeigt, die das größte Massaker seit der Shoa erlebten und deren Körper zum Schlachtfeld für den libidinösen Feldzug antisemitischen und misogynen Hasses wurden.

Über die Autorin: Anastasia Tikhomirova ist deutschrussische Journalistin, Moderatorin und Kulturwissenschaftlerin. Sie schreibt unter anderem für „Zeit Online“, „taz“ und „Jungle World“ und hält Vorträge über Russlands Krieg gegen die Ukraine. Sie absolvierte 2021 das Osteuropa Stipendium der Internationalen Journalistenprogramme bei der „Nowaja Gaseta“ in Moskau. Das „Medium Magazin“ wählte sie 2023 zu den Top 30 bis 30 Journalist*innen. Im Oktober 2023 erschien ihr erster journalistischer Sammelband „Stromlinienunförmig“ bei edition assemblage. Außerdem studiert sie im Master Osteuropastudien und interdisziplinäre Antisemitismusforschung in Berlin.

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