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Offener Brief an Katrin Wilkens: Dinkelkekse als Karrierekiller? Einmal Realitätscheck, bitte!

„Mütter, kommt wieder raus aus Bullerbü“, forderte die Journalistin Katrin Wilkens vor einigen Tagen auf Spiegel Online. Katja Thiede war ziemlich verstört über das Klischeefeuerwerk des Textes – und antwortet bei uns.

 

Was ich nicht mag: Stumpfe Klischees

Sehr geehrte Frau Wilkens,

mit der Überschrift Ihres Artikels auf Spiegel Online hatten
Sie mich gleich. Ich mag provokante Beiträge. Solche, die meine Art zu
arbeiten, zu konsumieren und zu leben, kritisch hinterfragen. Die mir den
Spiegel (den echten, nicht den geschriebenen) 
vorhalten, mich zum Nachdenken bringen und die auch ein bisschen wehtun. „Mütter, kommt raus aus Bullerbü“ – meine Aufmerksamkeit war Ihnen sicher.

Was ich nicht mag, sind stumpfe Klischees. Ihr Artikel hat
mich daher in vielerlei Hinsicht geärgert. Und hier kommt, warum.

„Sind sie (Mütter)
hinterher (nach der Elternzeit) nicht mehr hart genug für den Job?“, 
fragen Sie. Was genau meinen Sie mit „hart genug“? Ich habe in meiner beruflichen
Laufbahn in verschiedenen Umfeldern gearbeitet. In Agenturen, in Unternehmen,
als Selbstständige. Wäre Härte ein Maßstab, an dem meine Eignung gemessen
worden wäre, ich hätte es nie weiter als bis zum Vorstellungsgespräch gebracht.
Ich bin eher der sensible Typ, wissen Sie. Wer ist Ihrer Ansicht nach „hart
genug“ für einen Job? Sind es die Lauten? Die Selbstvermarkter? Die, die in
Meetings den Ton angeben? Ich war nie eine von denen. Generell finde ich es
entscheidender, was abseits der Bühne der Selbstdarsteller so passiert.
Strategisch denken, fundierte Konzepte entwickeln, Texte und Bilder bauen, die die
Botschaften zur Zielgruppe transportieren. Und – das wird Sie vielleicht
überraschen – man ließ mich sogar auf Kunden los, an Verhandlungen teilnehmen
und Präsentationen halten – obwohl ich nun so gar nicht der Typ „harter Hund“
bin. Und auch nie so getan habe, als sei ich es. Trotzdem weiß ich meinen
Standpunkt zu vertreten, kann Entscheidungen treffen und am Ball bleiben –
hartnäckig sein eben.

Sollte sich nicht eher die Arbeit an unser Leben anpassen?

Aber ich glaube, das meinen Sie nicht. Sie meinen hart so
als Typ Mensch. Das finde ich fragwürdig, ist es doch eine Eigenschaft, die ich
weder auf privater noch auf Arbeitsebene als wünschenswert erachte. Haben Sie
schon einmal in Erwägung gezogen, dass wir eine Arbeitswelt, die zunehmend
„härter“ wird, die Menschen austauschbar macht und verschleißt, eventuell nicht
kritiklos hinnehmen sollten? Sollte sich die Arbeit nicht vielmehr so
gestalten, dass sie zu uns und unserem Leben passt, und nicht umgekehrt?

Ihre Erklärung, warum es viele Frauen schwer haben, nach der
Elternzeit beruflich wieder Fuß zu fassen, finde ich ziemlich, nun ja,
abenteuerlich. Denn Schuld sei, so schreiben Sie, „eine Kultur, die alles Grobe und Schlechte aus der Kindererziehung
verbannen will.“ 
So habe ich das in
der Tat noch nie gesehen. Ich dachte immer, Mutterschaft und Karriere im Beruf
gehen nicht zusammen, weil wir in einer Kultur leben, die Menschen in erster
Linie nach wirtschaftlichen Kriterien bemisst, nach ihrem Beitrag zur Mehrung
des Wohlstands, nach ihren Qualitäten als Arbeitnehmer. In einer Kultur, in der
der Wert eines Menschen an seinen beruflichen Erfolgen gemessen wird. In der
Familienarbeit „Auszeit“ oder „Babypause“ heißt, weil das alles ja total
entspannt und einfach ist, was Frau da so macht im ersten Lebensjahr des
Kindes. „Bullerbü“, wie Sie es nennen. Das macht sich natürlich nicht gut im
Lebenslauf. Ganz zu schweigen davon, dass Frau mitunter nicht mehr bereit ist,
50 oder 60 Stunden in der Woche zu arbeiten, wenn ein Kind da ist. 

Haben Sie
sich schon einmal gefragt, ob da eventuell etwas mit der Erwartungshaltung auf
Arbeitgeberseite nicht stimmt? Ja, mit unserer Arbeitskultur im Allgemeinen, die
Präsenz mit Leistung gleichsetzt und in der unvergütete Überstunden als
selbstverständlich angesehen werden? In der hervorragend qualifizierte und
hochmotivierte Frauen nach ihrer Rückkehr in den Job für Hilfstätigkeiten
abgestellt werden, weil sie ihr Kind um 16 Uhr von der Kita abholen wollen? In
der Kinder nicht als Bereicherung für die persönliche Entwicklung, sondern als
Störfaktor gesehen werden? Glauben Sie ernsthaft, dass nicht tief verankerte
Vorbehalte und starre, familienfeindliche Rahmenbedingungen das Problem sind,
sondern Bio-Dinkelkeks und Schachcomputer?

Verhandeln statt Verwöhnen? Interessante Logik

Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang
einen Blick in das vor einigen Monaten bei EDITION F erschienene Interview mit dem Kulturphilosophen Leander Scholz,
der Kinder als Bereicherung auch für die berufliche Entwicklung sieht. Selten
habe ich so viele kluge Sätze auf so engem Raum gelesen.

Was genau das „Harte,
Grobe und Schlechte“
im Zuge der Kindererziehung ist, das wiederum uns
Frauen davor bewahren soll, in der Elternzeit „zu Perwoll“ zu mutieren, erschließt sich mir schlichtweg nicht.
Öfter mal mit den Kids ’nen Hasen schlachten, dann klappt’s auch mit der
Karriere nach der Elternzeit? Interessante Logik. Auch, dass das Verwöhnen des
Nachwuchses dazu führen soll, dass wir das Verhandeln verlernen, halte ich für
eine gewagte These. Ist es nicht vielmehr so, dass viele Frauen vor der
Herausforderung stehen, Aufgaben, Rollen und Verantwortung gänzlich neu zu
verhandeln, sobald ein Kind da ist? Mit dem Partner, mit den eigenen Eltern,
mit Freunden und Kollegen? Als Mutter sieht man sich plötzlich mit vielfältigen
Erwartungen konfrontiert, die man nicht zwangsläufig erfüllen kann oder möchte.

Sich gegen offen ausgesprochene oder subtil verpackte Vorwürfe und ungefragt
erteilte Ratschläge zu wehren, ohne seine sozialen Beziehungen dauerhaft zu
schädigen, kostet Kraft  und bedarf einer
nicht unerheblichen Menge Verhandlungsgeschick. Hinzu kommen die nicht enden
wollenden Behördengänge und die Vorbereitung der Rückkehr an den Arbeitsplatz,
die nicht erst zwei Wochen vor Ende der Elternzeit beginnt, sondern sich
kontinuierlich über die gesamte Zeit zieht und erfordert, als wertvolle
Mitarbeiterin im Gespräch zu bleiben und gleichzeitig ein Aufgabengebiet
einzufordern, das der eigenen Qualifikation entspricht. Macht uns all das nicht
vielleicht sogar stärker für den Wiedereinstieg?

Was die Frauen eint: Sie wollen etwas bewegen

„Also will man
plötzlich kreativ arbeiten“, „irgendwas mit Interieur … oder einen
Einrichtungsblog?“,
schreiben Sie. Klar, Frauen, die Kinder bekommen, wollen
sich künftig  nur noch mit Wohnungsdeko, gesundem
Essen und Selbstgenähtem beschäftigen – wieder ein Klischee, das Sie sich nicht
zu schade sind, zu befeuern. Gefolgt von der Belehrung, was es so alles
braucht, um erfolgreich ein Blog zu betreiben. Glauben Sie wirklich, dass
Frauen ihr Hirn und ihre beruflichen Ambitionen an der Kreißsaal-Tür abgeben?
Ich habe in meiner Elternzeit viele Frauen getroffen, die vor allem eins
wollen: eine Arbeit, die sie (endlich wieder) geistig fordert, die sie
finanziell absichert, die es ihnen erlaubt, Zeit für die Familie zu haben und
die sie erfüllt. Ob das nun ein Foodblog oder eine Beratungsfirma im Bereich
Energieeffizienz ist, sei dahingestellt.

Was die Frauen eint, ist der Wille,
etwas zu bewegen, etwas zu tun, auf das sie stolz sind und das für sie und andere
von Bedeutung ist – eben Sinn stiftet. Denn eines ist auch klar: Mit einem Kind
verändert sich der Blick auf das Leben. Prioritäten verschieben sich. Die
Sinnfrage steht plötzlich in Großbuchstaben da. Und nicht wenige fragen sich,
wofür und für wen sie da eigentlich in der Vergangenheit ihre Zeit und Kraft
investiert haben, zumal, wenn der Job, für den man sich viele Jahre aufgeopfert
hat, plötzlich zur Verhandlungssache wird. Die Frage nach dem „Was will ich
eigentlich in meinem Leben“ ist für mich eine der größten Errungenschaften, die
die Elternzeit mit sich bringt. Sollten wir nicht Frauen darin unterstützen,
ihren eigenen Weg zu gehen, statt sie dafür zu verurteilen, dass sie keine Lust
mehr haben, sich den Regeln einer Arbeitswelt zu unterwerfen, die sie nicht
wertzuschätzen weiß?

Sie schreiben: „Das Problem sind
nicht mehr Personalchefs, die Frauen knallhart ins Gesicht sagen: ,Sie
passen ja sowieso viel besser zur Familie.

Doch, genau die sind das Problem, und mit ihnen eine gelebte
Arbeitskultur, die Frauen mit Kind jegliche Fähigkeit zur Selbstorganisation,
jeglichen Willen zur Übernahme von Verantwortung im beruflichen Kontext und
jegliche fachliche Qualifikation trotz oder gerade aufgrund ihrer Mutterschaft
abspricht.

Und weiter: „Das Problem sind
Dawanda, Pinterest, Do-it-yourself-Blogs. Sie suggerieren, dass es möglich
sei, mit handwerklichem Geschick ein bisschen Geld zu verdienen. Und
verschweigen die unangenehme Seite dieser Art von Vertrieb.“

Warum diese Geringschätzung?

Erneut sprechen Sie Frauen jegliche Kompetenz ab, ihrer wie
auch immer gearteten selbstständigen Tätigkeit ein funktionierendes
Geschäftsmodell zugrundezulegen. Woher kommt diese Geringschätzung gegenüber
Ihren Mitstreiterinnen? Sollten Sie als selbstständig tätige Mutter nicht ermutigen,
inspirieren und motivieren, es Ihnen gleich zu tun?

„Wenn wir zu einer wirklichen
Gleichberechtigung kommen wollen (…) müssen wir bei der Form der Erziehung
anfangen.“

Es ist fast schon komisch, dass ich Ihnen in diesem Satz
vollständig zustimme, allerdings, weil ich ihn anders lese, als Sie ihn gemeint
haben. Ich glaube nicht, dass wir Gleichberechtigung erreichen, indem wir
unsere Kinder „härter“ oder „auf männlichere Weise“ erziehen. Ich glaube auch
nicht, dass das Maß an „Kuschel-eideideidei“
ausschlaggebend dafür ist, wie gleichberechtigt wir in Zukunft leben werden.

Vielmehr geht es darum, welche Werte wir unseren Kindern mitgeben, indem wir sie ihnen
vorleben. Dies setzt voraus, dass wir unsere „Rollen“ in der Partnerschaft und
in der Familie neu verhandeln. Nur so kann der notwendige kulturelle Wandel
gelingen hin zu einer Gesellschaft, die Verhaltensweisen, Erwartungen und Verantwortung – sei es im
Job oder in der Kindererziehung – nicht mehr automatisch ans Geschlecht koppelt.
Ob Papa nun anders erzieht als Mama, ist dabei irrelevant. Entscheidend ist, dass er erzieht – und kocht und putzt
und dafür bereit ist, beruflich kürzerzutreten. Wenn Väter sich stärker in
der Familienarbeit engagieren, hat dies nicht nur Folgen für die Bewertung von
Elternschaft in der Arbeitswelt, sondern prägt das auch das Wertesystem unserer
Kinder. Und dieses ist letztendlich der Schlüssel auf dem Weg zu echter
Gleichberechtigung.

„Wir müssen (…) das
(leben, KT), was Männer seit Jahrhunderten schlichtweg leben: ein
facettenreiches Rollenmodell, mal Business, mal Familie.“

Abhängig vom guten Willen anderer

Das klingt toll. Leider blenden Sie an dieser Stelle die
politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aus, die es Männern stets
ermöglicht haben, eben jenes „facettenreiche Rollenmodell“ zu leben, Frauen
jedoch nicht. Auch heute noch wird Papa in den höchsten Tönen gelobt, wenn er
das Töchterchen von der Kita abholt oder am Krankenbett des Sohnemanns sitzt
statt im Büro. Was für ein toller Mann! Haben Sie ein derartiges Lob als Mutter
schon einmal gehört? Vermutlich nicht. Weil es schlicht von Frauen erwartet
wird, das zu tun, eben ihren „mütterlichen Pflichten“ nachzukommen. Was der
Mutter Pflicht, ist des Vaters Kür.

Natürlich haben Frauen heute theoretisch die Möglichkeit,
sich beruflich zu verwirklichen. Denkt man die Option zu Ende, sind sie aber in
vielen Fällen doch wieder vom guten Willen eines Mannes abhängig – von dem
ihres Partners, aber auch von dem seines und des eigenen Arbeitgebers. Denn
Tatsache ist: 70 Prozent der Führungskräfte sind männlich. Im
Top-Management der 200 größten Unternehmen sind es sogar 97 Prozent. Nur wenn
diese bereit sind, familienfreundliche Arbeitsstrukturen zu schaffen, wenn sie Mütter
und Väter mit einem guten Gefühl in die Elternzeit schicken, wenn sie Frauen Verantwortung
übertragen, in ihre Fähigkeiten vertrauen und investieren – nur dann haben
Frauen wirklich eine Wahl, ihr Leben á la „mal Business, mal Familie“ zu leben. Unter
diesen Voraussetzungen empfinde ich den von Ihnen formulierten Anspruch an
Frauen, es den Männern doch schlichtweg gleichzutun, wenn nicht als realitätsfern,
dann doch als ziemlich zynisch.

„Frauen können so
viel mehr als Innendekoration und Milch schäumen.“

Dass Sie das so sehen, erfüllt mich mit Hoffnung. Natürlich
müssen all die Mütter da draußen nun erstmal rausfinden, was außer
Interior-Blogging und Stillberaterin noch für sie in Frage kommt. Darauf weisen
Sie in Ihrem Artikel freundlicherweise hin. Ein Stück weiter unten, im
Abbinder, folgt dann auch prompt der Hinweis auf das in diesem Zusammenhang
angebotene Beratungsangebot Ihrer Agentur.

Ich bin versucht zu denken, dass der Artikel nicht zufällig
so provokativ daher kommt. Sie kennen ja den Satz mit der schlechten PR und so
weiter.

Aber wie eingangs erwähnt: Ich mag keine Klischees.

Mit freundlichen Grüßen

Katja Thiede

Dieser Artikel ist parallel auf www.female-perspectives.de erschienen. Wir freuen uns, dass die Autorin ihn auch bei uns veröffentlicht.

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