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Christina Reuter: „Wenn die Frauennetzwerke unter sich bleiben, ist am Ende nichts gewonnen“

Sie ist die jüngste Aufsichtsrätin eines milliardenschweren Konzerns in Deutschland: Christina Reuter. Im Interview mit unserem Partner Manager Magazin spricht sie über ihre Karriere bei Kion, die Frauenquote und Familienplanung.

„Karriere ist wie ein Klettergerüst“

Die Expertin für die digitale Vernetzung von Maschinen hat einen Lebenslauf wie aus dem Bilderbuch für Top-Manager: Nach Studium und Promotion als Wirtschaftsingenieurin wurde die heute 32-Jährige schon 2016 Aufsichtsrätin beim Gabelstapler-Hersteller Kion (Jahresumsatz 2016: 5,6 Milliarden Euro) – als jüngste ihrer Zunft. Was kann Wirtschafts-Deutschland von ihr erwarten?

Schon mit 31 Jahren, wenn sich andere noch über die Verlängerung ihres Praktikums freuen, sind Sie in den Aufsichtsrat von Kion eingezogen, eines international agierenden Multi-Milliardenkonzerns. Warum?

Die Frage habe ich mir eigentlich gar nicht richtig gestellt. Im Herbst 2015 wurde ich von einem Headhunter, Heiner Thorborg, auf das Mandat bei Kion angesprochen. Dann habe ich die Hintergründe erfragt und was von mir erwartet wird. Den Ausschlag hat eigentlich das Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden John Feldmann gegeben. Und zwar deswegen, weil wir uns rasch schon relativ viel inhaltlich austauschen konnten und ich den Eindruck hatte, dass Kion mich trotz meines jungen Alters wegen meiner Expertise an Bord holen will. Ich habe mich weiter informiert, mich zur Wahl aufstellen lassen – und dann haben mich die Aktionäre gewählt.“

Normalerweise haben Aufsichtsräte die Hauptaufgabe, dem Management ihren reichen Erfahrungs- und Wissensschatz zur Verfügung zu stellen. Haben Sie beides oder haben wir gerade den Anforderungskatalog für Aufsichtsräte falsch skizziert?

Natürlich braucht man in einem Aufsichtsrat Erfahrung und Wissen. Aber nicht nur. Entscheidend ist die Vielfalt, in vielerlei Hinsicht. Und wenn es um digitale Transformation geht, dann liegt möglicherweise mehr Wissen, häufig wohl auch mehr Empathie bei der jüngeren Generation. Da kann es für ein Unternehmen schon klug sein, das im Aufsichtsrat abzubilden.“

Gibt es etwas, worauf Sie stolz sind aus Ihrer Arbeit im Aufsichtsrat von Kion?

Was sicherlich ein prägender Schritt war, war gleich nach meinem Einstieg 2016 die Akquisition des US-Konzerns Dematic, der Lösungen für den automatisierten Materialfluss anbietet. Meine Aufgabe im Aufsichtsrat war es, mitzubewerten, inwiefern die Produkte von Dematic zu Kion passen. Das war für die gesamte Firma wichtig und zukunftsweisend und für mich persönlich natürlich auch extrem lehrreich.“

Durch Ihren frühen Einstieg in den Aufsichtsratsjob bei einem solch großen Konzern wecken Sie hohe Erwartungen an Ihre Karriere. Was sind Ihre eigenen Erwartungen?

Um ehrlich zu sein, kann ich das gar nicht genau beziffern. Ich suche Umfelder, wo ich mich weiter entwickeln kann. Wo ich lernen kann und meine Expertise sinnvoll einbringen kann. Ich greife da gern auf ein Symbol von Sheryl Sandberg zurück, der Geschäftsführerin von Facebook: Karriere ist wie ein Klettergerüst. Das muss nicht immer in eine Richtung gehen, nicht nur aufwärts, das kann auch mal seitwärts gehen. Ich laufe mit offenen Augen und Ohren durch die Gegend und schaue, wo sich Gelegenheiten ergeben, die mir Spaß machen und mich interessieren. Ich habe keinen festen Plan in der Schublade, dafür leben wir auch in einer viel zu dynamischen Welt.“


Jüngste Aufsichtsrätin eines milliardenschweren Konzerns in Deutschland: Christina Reuter. (Bild: manager magazin)

Was sind aus Ihrer Sicht die Schlüsselqualifikationen für Führungskräfte heute?

Ganz sicher Entscheidungsfreude, auch die natürliche Gabe, Verantwortung übernehmen zu wollen und dabei keine Angst vor Konflikten zu haben. Sie müssen es als Teil ihrer Aufgabe ansehen, auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen und nicht immer everybody’s darling zu sein.“

Sie sind selbst beim Frauennetzwerk Generation CEO aktiv. Das Netzwerk richtet sich explizit an „weibliche Führungskräfte, deren Ziel es ist, in den nächsten fünf Jahren den entscheidenden Schritt an die Spitze zu vollziehen“. Sie klingen, als würde Sie ein CEO-Job schon reizen.

Ich würde es nicht komplett ausschließen, ich sehe es aktuell aber nicht zwingend als das Nonplusultra. Ich bin sehr offen, was die Zukunft bringt und würde mich da jetzt hier und heute wirklich ungern festlegen. Wichtig ist mir, in Strukturen zu arbeiten, in denen man etwas bewegen kann, mit Menschen, die etwas bewegen wollen. Wenn ich in einem Umfeld arbeite, in dem ich jahrelang nur gegen Mauern laufe, dann verliere ich die Lust, egal in welcher Position ich bin.“

Erst nach Ihrem Einstieg bei Kion sind Sie von der Hochschule in Aachen in die klassische Privatwirtschaft gewechselt, in die Verteidigungssparte von Airbus und verantworten dort die Definition und Umsetzung des zukünftigen Produktionssystems im Bereich für Raumfahrtkomponenten. In dem Klettergerüst der Karriere – was bietet Ihnen da dieser Job?

Erst einmal ist der Job sehr international, ich habe täglich mit internationalen Teams aus Deutschen, Franzosen, Spaniern, Niederländern zu tun. Darüber hinaus arbeite ich mit den verschiedenen Funktionen wie Entwicklung, Qualität oder Einkauf zusammen. Dies ermöglicht mir vielfältige Einblicke und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Längerfristig gesehen stellt sich die Frage: Wie bekommen wir die Themen der vernetzten Produktion, für die ich stehe, in einem solchen Konzernverbund verankert und umgesetzt? Da braucht es Geduld, Durchsetzungskraft und den Willen, auch mal gegen den Strom zu schwimmen. Und auch einen Chef, der einen unterstützt, den ich glücklicherweise habe.“

Hat es in Ihrer Karriere bislang eine Rolle gespielt, dass Sie eine Frau sind?

Ich habe bislang keine negativen Erfahrungen gemacht. Außer vielleicht in meinem ersten Mathekurs an der Uni, da war ich die einzige Frau und musste den Kommilitonen deutlich machen, dass ich sehr wohl in der Lage bin, die Aufgaben zu lösen. Danach hatte ich eigentlich immer das Glück in einem Umfeld zu sein und mit Vorgesetzten zu arbeiten, für die das Geschlecht keine Rolle gespielt hat.“

Glauben Sie, Sie hätten den Kion-Job bekommen, wenn Sie keine Frau gewesen wären?

Das ist für mich natürlich schwer zu beurteilen. Aber sicherlich hat die Frauenquote ihren Teil dazu beigetragen. Jetzt, bei der normalen Arbeit im Aufsichtsrat, spielt das überhaupt keine Rolle mehr.“

Was ist Ihr bisheriges Fazit zur Quotenregelung für Aufsichtsräte – und sollte sie auf Vorstände ausgeweitet werden?

Grundsätzlich ist die Frauenquote für Aufsichtsräte ein Erfolg. Meines Wissens wird nirgendwo bemängelt, dass in den Aufsichtsräten unqualifizierte Frauen säßen. Bei den Topmanagement-Positionen ist es schwieriger: Unternehmen können nicht von heute auf morgen Quoten von 30 Prozent umsetzen. Das muss man vorbereiten. Zudem gibt es ja auch Themenbereiche, in denen einfach nicht so viele Frauen aktiv sind. Wenn ich etwa im Maschinenbau-Studium eine Frauenquote von 10 Prozent habe, dann kann ich nicht im Top-Management eine Quote von 50 Prozent verlangen. Wo sollen die denn herkommen? In solchen Fällen könnten individuelle Quoten helfen – oder eben Zielmarken, die sich die Unternehmen selbst setzen. Aber grundsätzlich stehe ich auch hier eine Quote positiv gegenüber, weil sie sensibilisiert und Druck erzeugt. Ganz ohne Druck geht es am Ende nicht.“

Was halten Sie von Frauennetzwerken – als Gegenpol zu den berüchtigten Männer-Netzwerken?

Frauennetzwerke sind hilfreich für das eigene Netzwerk, für den Austausch und auch die gegenseitige Förderung. Aber man darf nicht allein auf diese Netzwerke hoffen, wir brauchen auch die Männer, die Frauen fördern. Es ist ein gemeinsames Unterfangen. Wenn die Frauennetzwerke unter sich bleiben, ist am Ende wirklich nichts gewonnen.“

Ihre Vita liest sich wie ein glatter Durchmarsch. Sind Sie überhaupt schon einmal Hindernissen begegnet?

Klar. In einem Semester habe ich keine der drei Klausuren, die ich geschrieben habe, bestanden. Es waren die schwersten im Vordiplom und es war jeweils knapp. Es war wirklich niederschmetternd, da fühlte ich mich auf dem Boden der Tatsachen. Ich versuche immer sehr stark zu reflektieren, wenn etwas nicht funktioniert hat, woran es gelegen hat, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Mit den Klausuren hat es dann beim nächsten Anlauf geklappt, insofern war es eine gute Lernerfahrung. Also stimmt es schon in gewisser Weise, was Sie sagen: Fundamental bin ich bislang in der Tat noch nicht auf die Nase gefallen. Ich habe mir immer Ziele gesetzt und dann teilweise auch hart dafür gearbeitet diese zu erreichen.“

Jetzt sind Sie Managerin, Aufsichtsrätin, junge Mutter und sagen, Familie stehe für Sie „an oberster Stelle“. Wie organisieren Sie das?

Tatsächlich muss das, was einem im Leben wie wichtig ist, immer neu hinterfragt und definiert werden. Mir zumindest ist klar: Nur Karriere ist für mich persönlich alleine nicht zufriedenstellend. Aus meiner Familie ziehe ich viel von der Kraft, die ich für meinen Beruf brauche. Wie genau ich mich jetzt in der neuen Rolle als Mutter organisiere, kann ich noch nicht sagen. Bisher habe ich mir immer eine Infrastruktur aufgebaut, die es mir ermöglicht hat, meine verschiedenen Aktivitäten und Interessen unter einen Hut zu bekommen.“

Bis zu welchem Grad ist „Familie zuerst“ für Sie bei Ihren Mitarbeitern akzeptabel?

Es kommt auf die Position an und die Erwartungshaltung, die mit dieser Position verknüpft ist. Ich bin für die Maxime: Transparente Ziele und maximale Freiheit, diese Ziele zu erreichen. Im Grunde ist es mir also fast egal, wie ein Mitarbeiter seine Ziele erreicht. Aber wenn ich merke, dass sich etwas verschiebt, etwa dass die Zusammenarbeit mit Kollegen leidet, weil der Kollege zu selten präsent ist, dann würde ich das Gespräch suchen. In der Regel lässt sich da eine Lösung finden.“

Würden Sie denn erwarten, dass es als normal angesehen wird, wenn Sie aus familiären Gründen nicht an einer Kion-Aufsichtsratssitzung teilnehmen und sich stattdessen zuschalten lassen?

Kion darf von mir als Aufsichtsrätin schon erwarten, dass ich mir eine Infrastruktur aufbaue, mit der ich auch als junge Mutter an den Sitzungen teilnehmen kann. Das ist zumindest auch mein eigener Anspruch. Aber wir hatten im Dezember eine Sitzung, die lag vier Tage vor dem erwarteten Geburtstermin meiner Tochter. Da wurde anstandslos akzeptiert, dass ich mich per Telefon dazu schalte und nicht live in Frankfurt dabei bin.

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