Foto: Nadja Klier

Juliane Rump: „Egal was du machst, du brauchst ein Netzwerk!“

In der heutigen Zeit noch ein neues Printmagazin auf den Markt bringen – seid ihr denn verrückt? Juliane Rump und Thea von Winning haben es gewagt.

 

Die Liebe zum gedruckten Wort

Juliane Rump ist bereits seit 15 Jahren im Printjournalismus zuhause. Sie kennt die Schwierigkeiten des Marktes zu Genüge, dennoch hat sie vergangenes Jahr das feministische Printmagazin „Libertine“ gegründet. Ihr Hauptbeweggrund: Die Lust etwas Eigenes zu machen. Und: Der Erfolg der ersten zwei Ausgaben gibt ihr Recht. 

Aber, wie schafft man es heute noch, auf dem Printmarkt erfolgreich zu sein? Was macht ein feministisches Magazin aus? Und welche Lehren lassen sich aus der harten Gründungsphase ziehen? Über all diese Fragen haben wir mit der herausgebenden Chefredakteurin und der Libertine-Autorin Thea von Winning gesprochen.

Juliane, der Zeitschriftenmarkt ist heutzutage ein sehr hartes Pflaster. Immer mehr renommierte Magazin müssen resignieren. Wie kamst du auf die vermeintlich verrückte Idee, in dieser unsicheren Situation ein neues Printmagazin auf den Markt zu bringen?

Juliane: „Den Wunsch, ein eigenes Magazin zu machen, hege ich schon sehr lange. Ich komme selber aus der Magazinwelt, habe lange Jahre für unterschiedliche Magazine gearbeitet. Dabei habe ich mich im Angebot im Frauenmagazinsegment nie so richtig wiedergefunden. Das Konzept für Libertine entwickelte sich allerdings weniger aus einem Mangel, als vielmehr aus der Lust heraus, ein eigenes Heft zu machen. In meinem Kopf hat sich dann immer deutlicher herauskristallisiert, wie dieses eigene Magazin aussehen könnte. Das war eine längere Entwicklung. Sobald die Entscheidung endgültig gefallen war, ging es aber ganz schnell.“

Und der Markt hat euch keine Angst gemacht?

Juliane: „Nee, ich bin grundsätzlich nicht so der ängstliche Typ. Ich handle oft eher aus einem Impuls heraus. Manchmal plane und kalkuliere ich vielleicht sogar zu wenig. Ich mache erst mal und dann, wenn Probleme auftreten, lerne ich damit umzugehen. Das hat Vor- und Nachteile. Aber ich glaube, man verpasst sehr viele Chancen, wenn man zu viel darüber nachdenkt und sich sehr absichern will.“

Thea: „Außerdem sieht man, dass ja immer noch genügend Platz für neue Printmagazine ist. Wenn man hier in Berlin-Mitte durch die Straßen schlendert, entdeckt man wahnsinnig viele Läden, die sich ausschließlich Printmagazinen widmen. Offensichtlich gibt es also eine starke Nachfrage. Sicherlich findet vieles mittlerweile online statt, das wollen wir auch gar nicht abstreiten. Aber ich glaube, am Ende macht die Mischung aus Print und Online unser heutiges Leben spannend und bereichert es.“

Wäre es nicht deutlich einfacher gewesen ein Onlinemagazin daraus zu machen?

Juliane: „Das würde für unser Idee nicht funktionieren. Libertine hat sehr gehaltvolle Texte. Man muss sich Zeit nehmen, um das Magazin von vorne bis hinten durchzulesen. Die Themen sind sehr facettenreich. Genau aus dem Grund ist die Entscheidung auf Print gefallen. Außerdem sind wir sehr detailverliebt. Jede Ausgabe ist zum Beispiel auf einem anderen Papier gedruckt. Das jeweilige Papier ist dabei ein haptischer Ausdruck des jeweiligen Titelthemas. Es gibt viele Texte, die man super online lesen kann, aber unsere, oft langen Stücke, brauchen, glaube ich, die gedruckte Form.

Thea: „Wenn man sich inhaltlich austoben will, braucht man den Print und die größere Verweildauer, die es dort gibt. Außerdem gehört der Onlineauftritt natürlich auch zu unserem Konzept. Wir sind ja ein recht kleiner Laden. Bei uns dauert alles etwas länger, aber wir versuchen immer mehr eigene Onlinetexte zu produzieren. Unsere Printthemen sind eher zeitlos, wir möchten aber natürlich auch gerne auf aktuelle Sachen eingehen. Und langfristig stellen wir dann auch  Artikel, die im Print erschienen sind, online.“

Zur Finanzierung eures Magazins habt ihr eine Crowdfundingkampagne gestartet. Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?

Juliane: Die Crowdfundingkampagne war ein sehr spannender Prozess, in dem wir viel dazu gelernt haben. Wenn ich einen Rat diesbezüglich weitergeben sollte, würde ich empfehlen so eine Kampagne nicht parallel zur Heftproduktion zu machen. Wir haben das gemacht und den Aufwand ein wenig unterschätzt. Crowdfunding ist ein Vollzeitjob. Hätte wir all unsere Energie darauf konzentrieren können, wäre sicherlich noch ein bisschen mehr möglich gewesen. Nichtsdestotrotz waren wir sehr zufrieden. Die Finanzierung für eine kleine Auflage der ersten Ausgabe hatten wir schon gesichert, bevor das Crowdfunding überhaupt losging. Das Geld, das wir dann über die Kampagne eingenommen haben, hat uns ermöglicht die Auflage zu erhöhen, schon ein wenig Geld für die zweite Ausgabe zurückzulegen und mehr Marketing zu machen.“

Eurer Leitspruch lautet: „Feministisch. Authentisch. Frei.“ Der Begriff „Feminismus“ wird aktuell viel diskutiert und kann ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Wie definiert ihr den Begriff für euch?

Juliane:Feminismus ist erst einmal eine grundsätzliche Haltung, die viele Facetten und Ausprägungen unter sich vereint. Ich denke, schlussendlich kann jede Frau unter diesem Oberbegriff  den Themenbereich finden, der ihrer Situation gerade am nächsten ist. Sicherlich ist die Kritik berechtigt, dass es Gruppierungen im Feminismus gibt, die sich über Quoten streiten, während sozialbenachteiligte Frauen vielleicht ganz andere Probleme haben. Es ist sehr schwierig alle Ausprägungen geschlossen zusammenzubringen. Wir haben deshalb noch einmal einen ganz anderen Ansatz: Wir versuchen weniger
die Aspekte der Ungleichheit herauszuarbeiten – auch, wenn das ganz wichtig ist und immer wieder getan werden muss – als viel mehr ein starkes, facettenreiches Frauenbild in den Fokus zu rücken und neuen, alternativen Rollenbildern Raum zu geben. Uns geht es darum vielseitige Optionen aufzuzeigen.“

Welche neuen Rollenbilder sind das?

Juliane: „Wir stellen ganz bewusst auch queere und homosexuelle Frauen
in den Mittelpunkt, ohne dabei eine künstliche Abgrenzung aufrecht zu erhalten.
Ich glaube, das ist ganz wichtig für den Feminismus. Wir sind zwar alle
unterschiedlich und haben teilweise unterschiedliche Anliegen, aber am Ende des Tages ist es wichtig, dass wir zusammenfinden wollen und nicht gegeneinander arbeiten. Wir wollen Frauen, völlig unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Beruf oder ihrem sozialen Hintergrund, näher zusammenbringen. Wir wollen all die unterschiedlichen Rollenbilder, die es mittlerweile gibt, aufzeigen. Das wichtigste ist ja eigentlich, Frauen insgesamt sichtbarer zu machen, sie in neue Positionen zu bringen. Wenn man sich die Medienlandschaft anschaut, ist der Mann, nach wie vor, überpräsent und immer noch in der Macherrolle. Frauen leisten und machen aber auch ganz viel. Deshalb heißt zum Beispiel eine Kategorie in unserem Heft ganz bewusst „Macherinnen“. Über diese Macherinnen zu berichten ist unsere Art der positiven Berichterstattung, die wir für uns als Feminismus definieren.“

Thea: „Und dann versuchen wir auch über den eigenen Tellerrand
hinauszuschauen und über Frauen aus ganz anderen Kulturkreisen zu berichten,
die aus Gesellschaften stammen, wo die Entwicklung der Frau noch einen anderen Status Quo hat und damit zwangsläufig auch der Feminismus anders definiert wird. Auch deren Geschichten wollen wir erzählen. Da eröffnen sich noch einmal ganz andere Rollenbilder, die man immer in dem Kontext betrachte muss, in dem die Frauen leben. Wir wollen Klischees aufbrechen. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Thema unserer ersten Ausgabe: „Muslimisch, Queer und Feministisch“. Diese Begriffe scheinen sich aus unserem Verständnis heraus erst einmal zu widersprechen. Genau dieses Denkmuster wollten wir infrage stellen und andere Perspektiven auf die Konstellation aufzeigen. Es geht uns auch um eine internationale Perspektive auf Frauen.“

Worum geht es euch mit eurem Magazin?

Juliane: „Eigentlich geht es uns darum, eine Offenheit dafür zu stärken,
dass es ganz viele unterschiedliche Lebensmodelle geben kann, die nebeneinander existieren und die sich nicht einer ständigen Bewertung durch andere ausgesetzt sehen müssen. Das gilt übrigens auch für Männer. Die stehen schließlich auch unter unglaublichen Erwartungsdruck. Auch in Bezug darauf müssen wir unsere Rollenbilder hinterfragen.“

Wie viel Raum bekommen Männer in eurem Magazin?

Juliane: „Momentan erzählen wir nur Geschichten, die Protagonistinnen haben. Aber wir haben einige Männer, die für uns schreiben. Trotzdem sind die Inhalte weiblich. Aber das kann sich irgendwann ändern.“

Thea: „Auch hier geht es um die Frage, was ist Feminismus eigentlich.
Was bedeutet die Entwicklung des Feminismus im Umkehrschluss für die Männer? Feminismus hat Konsequenzen für alle. Deshalb wollen wir keine radikale Trennung, denn das wäre ja nur eine neue Form des Ausschlusses und der Abgrenzung. Für uns ist es viel interessanter zu schauen, wohin bewegen wir uns als Gesellschaft insgesamt mit den Voraussetzungen, die die Frauen für uns geschaffen haben, die vor uns gekämpft haben. Vielleicht muss es gar kein radikaler Kampf mehr sein, sondern viel mehr ein aufeinander achten und einander zuhören.“

In vielen Artikeln über euer Projekt werdet ihr als „Lesbenheft“ kategorisiert. Würdet ihr das unterschreiben?

Juliane: „Das ist wieder dieses Schubladendenken. Wir wissen zum Glück,
dass unser Leserinnenkreis nicht von der sexuellen Orientierung abhängt. Von
den Leserinnen werden wir nicht als „Lesbenheft“ wahrgenommen. Klar,
lesbische Liebe ist ein selbstverständlicher Teil von Libertine – als eine Ebene von verschiedenen Möglichkeiten von Verbindungen zwischen Frauen. Aber wir hätten uns selbst niemals als kategorisches „Lesbenheft“ bezeichnet.“

Thea: „Uns geht es um „Frauen, die Frauen lieben“. Aber was heißt
das? Natürlich ist die sexuelle Liebe zwischen Frauen ein sehr wichtiger
Teilaspekt von Libertine. Es kann und soll einen großen Stellenwert haben, aber
es ist nicht bewusst nur für diese Zielgruppe gemacht. 
Wenn man so streng eingeordnet wird, kann man sich aber auch überlegen, wie man diese Schublade vielleicht auch noch einmal ein bisschen aufbrechen kann. Und die Resonanz unserer Leserinnen zeigt, dass viele Menschen erfreulicher Weise gar nicht mehr so in strengen Kategorien denken, wie die Medien es immer noch tun.“

Würdet ihr sagen, dass sich in Sachen Schubladendenken in den letzten zehn Jahren etwas geändert hat? Oder anders gefragt: Glaubt ihr, Libertine hätte auch vor zehn Jahren so gut funktionieren können?

Juliane: „Das ist eine gute Frage. Die Themenkomplexe: alternative
Lebensmodelle und Minderheiten allgemein werden ja aktuell deutlich mehr
besprochen und diskutiert. Das Paradoxe: Auf der einen Seite gibt es wieder
mehr Homophobie, aber auf der anderen Seite auch viel mehr Offenheit für
Homosexualität. Ich glaube, Frauen, die sich für unsere Themen interessieren
sind grundsätzlich offen für alternative Lebensmodelle und die Belange von
Minderheiten. Selbst, wenn sie selber nicht homosexuell sind, versuchen sie
nicht hetero-normativ durchs Leben zu gehen. Ich weiß nicht, ich könnte mir
vorstellen, dass in den letzten Jahren noch ein paar Schritte notwendig waren,
um diese Offenheit zu erlangen. Vor zehn Jahren wäre es sicherlich schwieriger
gewesen.“

Thea: „Das Thema Lesbisch hat sich ja wirklich gewandelt, auch im
Bezug darauf, wie lesbische Frauen in der Öffentlichkeit dargestellt werden.
Vor zehn Jahren wurden Lesben durchweg als kurzhaarige Frauen, die wie Kerle
aussahen dargestellt. Dieses Bild hat sich auch innerhalb der Lesbenszene
gewandelt. Es gibt heute viel mehr feminine Frauen, auch innerhalb dieser
Gruppe herrscht mehr Diversität als früher. Deswegen ist es ganz schwer zu
beantworten, was vor zehn Jahren gewesen wäre, weil die Klischees damals viel
präsenter waren.“

Juliane: „Vor zehn Jahren gab es auch noch ein anderes Bestreben von
lesbischen Frauen. Das L-Mag zum Beispiel hatte damals noch einen ganz anderen Auftrag. Damals musste man sich abgrenzen und behaupten. Ich glaube, gewisse Entwicklungen brauchen ihre Zeit und wir haben jetzt mit unserem Konzept bessere Chancen als noch vor zehn Jahren.“

Das ist doch eigentlich eine sehr schöne Entwicklung. Wie viel Konkurrenzdenken verspürt ihr unter Frauen in der heutigen Zeit?

Juliane: „Gerade Frauen wird so oft vorgeworfen, dass sie sich nicht gut
zusammenschließen und vernetzen, weil sie immer mehr damit beschäftigt seien, sich gegeneinander auszuspielen. Ich habe das Gefühl, dass sich da gerade etwas verändert, dass wir mehr zusammenfinden und uns gegenseitig stärker unterstützen. Das finde ich großartig.“

Thea: „Es ist doch schön, dass es mittlerweile so viele unterschiedliche Angebote für Frauen gibt. Wir sollten das positive daran sehen. Jedes Format hat seine Berechtigung. Von mir aus können auch noch zwanzig weitere kommen, ist doch cool!“

Juliane: „Man sollte sich nicht zu viel darüber streiten, was Feminismus
genau ist – da wird man sich nie einig. Wenn aber jeder in seinem Bereich, was
für die Stärkung der Frauen tut und offen dafür ist, was die anderen tun, dann
ist das schon viel Wert, finde ich. Natürlich haben manche Gruppierungen mehr
Möglichkeiten als andere. Und da sollte es dann Aufgabe sein, zu schauen, wie
man die weniger repräsentierten Gruppierungen unterstützt. Aber das Wichtigste ist, dass wir nicht gegeneinander arbeiten.“

Was ist das Besondere an der Struktur bei Libertine ?

Juliane: „Libertine ist ein absolutes Netzwerkprojekt. Jede einzelne bringt ihr persönliches Netzwerk ein. Dadurch können wir so viele internationale Themen und Geschichten einfließen lassen.“

Thea: „Für viele Autoreninnen ist das Schöne an unserem Projekt, dass Themen, die vielleicht zu lang oder unkonventionell sind für ihre eigentlichen Arbeitgeber, bei Libertine Raum finden.“

Welche Schwierigkeiten sind euch auf eurem Weg begegnet?

Thea: „Aus einer wirtschaftlichen Perspektive ist unser Projekt auf jeden Fall ein Wagnis. Wir haben uns natürlich vorher überlegt, wie wir uns positionieren wollen. Ob das so geklappt hat, wie wir uns das vorgestellt haben, sieht man dann ja erst nach ein bis zwei Jahren. Wir haben das Glück zumindest schon mal sehr positiven Rückenwind aus den ersten Monaten mitnehmen zu können. Mal sehen, wie weit der uns trägt. Das Wichtige, wenn man sich selbstständig macht, ist, dass man an von seiner Idee überzeugt ist, an sie glaubt, man muss bereit sein, gerade finanziell, durch Täler zu gehen und trotzdem in der Lage zu sein, sich selbst und alle anderen im Team bei Laune zu halten. Im Magazinleben geht natürlich ständig etwas schief.“

Juliane: „Wir sind ein kleiner Verlag. Wir müssen schauen, was wir mit den Mitteln, die wir zur Verfügung haben, erreichen können. Gerade im Bezug auf Marketing und Positionierung sind wir oft darauf angewiesen, das richtige Gefühl zu haben und auf dieses Gefühl zu vertrauen. Wir müssen nun häufig Entscheidungen in Bereichen treffen, in denen wir uns gar nicht so super auskennen. Das nimmt uns trotzdem keiner ab. Das haben wir gerade nach der ersten Ausgabe gemerkt. Daraus haben wir unsere Erfahrungswerte gezogen. Viele Prozesse dauern bei uns etwas länger, weil wir uns erst dahin
entwickeln. Daran wachsen wir.“

Gibt es einen Ratschlag, den ihr als euren Erfahrungen als Gründerinnen weitergeben könnt?

Juliane und Thea: „Egal, was du machst, du brauchst ein Netzwerk. Unser Projekt lebt davon. Um dich selbstständig zu machen, ist außerdem Erfahrung entscheidend. Und: Hört auf euer Bauchgefühl. Wir sind das Projekt sehr intuitiv angegangen und haben einfach losgelegt. Dafür muss man aber auch der Typ sein. Wenn du dich lieber noch absichern willst, dann mach das! Das Wichtigste ist aber: Wenn du eine gute Idee hast, trau dich – entweder früher oder später.“


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