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„Caroline Beil – schwanger mit 50“ – was mich an diesem Thema so ärgert

Wir müssen besser darauf achten, wie wir uns über Schwangerschaften unterhalten, sagt Kinderwunsch-Coach Franziska Ferber. Denn nicht alle Frauen haben das Glück, ganz unkompliziert oder überhaupt schwanger zu werden.

 

Wir müssen sensibler mit dem Thema Schwangerschaft umgehen

Warum mich die Moderatorin Caroline Beil derzeit so aufregt? Nun, es ist vor allem das Bild, das sie nach außen gibt, das mich fassungslos macht. Mit 50 Jahren schwanger zu werden, das ist ja schön und gut, aber bei mir entstand der Eindruck durch die Interviews mit ihr bzw. der Fernsehsendung „Hart aber Fair“, in der sie aufgetreten ist, dass es dafür (fast) ausreicht, ein „wenig Yoga zu machen und sich gesund zu ernähren“. Das ist natürlich echt Quatsch und auch etwas zugespitzt formuliert.

Trotz allem ist es aber so, dass dieses „Schwanger-mit-50“ bei so vielen Frauen Fragen aufwirft. Neue Fragen und viele Unsicherheiten. Ich begleite seit Jahren Frauen dabei, ihren Kinderwunsch auszuhalten und – wenn es so weit ist – den Abschied vom Traum vom Leben mit Kind zu gestalten. Ich unterstütze sie dabei ihren Weg zu finden, in ein glückliches, kinderloses Leben. Und ich weiß aus eigener Erfahrung: Das ist kein Zuckerschlecken!

Das ist ein verdammt harter sowie lange Jahre währender Weg und zudem oftmals einer, der einem das Gefühl gibt, seine besten Jahre zwischen 30 und 40 oder 45 im Nachhinein vergeudet zu haben. Weil man in dieser Zeit einfach nur dafür gelebt und alles dafür gegeben hat, endlich das ersehnte Baby im Arm zu halten.

Viele Frauen versuchen jahrelang alles, um schwanger zu werden – nicht jede hat Glück

Wer die Zahlen studiert, der findet schnell heraus, dass die Eizellqualität dann, wenn viele Frauen heute überhaupt erst damit beginnen, zu versuchen ein Kind zu bekommen, schon viel schlechter ist als noch einige wenige Jahre zuvor. Gut, viele haben über lange Jahre einfach nicht den passenden Partner gefunden. Daran kann niemand etwas ändern. Aber an der Eizellqualität eben auch nicht – und damit auch nicht an den Fruchtbarkeitschancen und -wahrscheinlichkeiten. Mit 40 Jahren sehen wir heute aus wie 25 – gut, meinetwegen wie mit 30. Mit 50 sehen wir aus wie Ende 30. Aber die Eizellen – die verjüngen sich nicht; die Fruchtbarkeit geht runter. Die Abortraten steigen. Deutlich.

Viele Frauen versuchen über die Jahre alles, was ihnen begegnet – inklusive der (Gott sei Dank) vielen reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten. Die Frauen geben ihr Bestes und verzichten über viele Jahre oftmals auf alles, was Spaß macht. Fahrradfahren im Sommer? Nö, geht nicht. Zumindest nicht in der zweiten Zyklushälfte. Es könnte ja sein, das doch irgendwie und hoffentlich eine Schwangerschaft eingetreten ist. Alkohol trinken, viel arbeiten? Das alles erlaubt man sich nicht mehr. Lieber nicht so viel leben, weil das der Körper einem lange nachträgt.

Dauerthema: Bloß nicht die Chancen auf eine Schwangerschaft verringern!

Versteht mich nicht falsch. All das habe ich selbst erlebt und genau so gemacht. Und dann macht man Inseminationen, künstliche Befruchtungen und schließlich die „Königsklasse“ – die ICSI. Man verzichtet auf so viel – alles, für das Wunschkind und die erhoffte Schwangerschaft. Und es klappt und klappt und klappt nicht. Die Nerven liegen blank, der Körper schmerzt, die Seele leidet.

Und wenn man merkt, dass man einfach nicht mehr kann, dann kommt irgendwann der Moment, in dem man merkt, was für einen Preis man dafür zahlt und dass man nicht mehr kann – weder körperlich noch seelisch. In dem man sich fragt, ob es nicht an der Zeit ist, sich wieder auf sich selbst zu besinnen, weil man keine Kraft mehr hat, den hohen Preis weiter zu entrichten.

Viele Frauen müssen sich dann in ein kinderloses Leben verabschieden, sich also auf den Weg machen, auch ohne Kind ein neues Leben aufzubauen. Das ist ein unglaublich schmerzhafter und langwieriger Weg. Einer mit sehr, sehr vielen Fragen und zunächst sehr wenig Antworten.

Der Kinderwunsch greift über Jahre in alle (!) Lebensbereiche ein – in die eigene Persönlichkeit, in die Partnerschaft, in den Beruf, in die Gesundheit, in die Finanzen, in die Familie, in die Freundschaften, in die Netzwerke … und nun muss man sich auf dem Weg machen, all diese Bereiche neu für sich zu definieren. Kein Stein bleibt da auf dem anderen. So viel Trauer will verarbeitet werden – so viele Steine wollen umgedreht, angeschaut, neu sortiert werden.

Zwischen Hoffnung und Trauer

Ich kann für mich selbst sagen: Da bleibt vom alten Leben so gut wie nichts mehr übrig. Alles neu, alles anders. Weil man selbst in diesen Jahren zwischen Hoffnung und Trauer ein neuer Mensch geworden ist, den man erst mal wieder kennenlernen muss. Das dauert. Das ist anstrengend. Das macht einen manchmal wahnsinnig vor Unsicherheit, Angst und der immerwährenden Frage: werde ich es jemals schaffen?

Einen positiven Effekt hat es: Die Zeit vergeht, man wird (noch) älter. Und ein wenig schwingt irgendwann die Hoffnung mit, dass die Wechseljahre kommen und die Freundinnen aber auch man selbst dann andere Themen als nur „Kinder, Schwangerschaften und Stress“ haben wird. Je älter wir werden auf unserem Weg in ein glückliches, aber leider kinderloses Leben, desto mehr setzen wir darauf, dass diese Mühen sich lohnen werden. Und oftmals stellt sich auch das Gefühl ein, dass man es schaffen kann. Dass das Leben schön ist (auch ohne Kind).

„Stress dich nicht – dann klappt das“

Wer dann, eigentlich recht entspannt, auf die „lustige“ Idee kommt, im Frühling das Magazin Bunte zu lesen oder abends TV zu schauen, erlebt Spannendes: Da gibt eine 50-jährige Moderatorin Interviews – mit Babybauch. Neben ihr steht ihr deutlich jüngerer Mann. Die Moderatorin hat schon ein Kind. Aber hat erst spät ihren Mann kennengelernt. Dass sie sich ein Kind wünschen, kann ich mehr als nachvollziehen. Sie sind dann in die Kinderwunschklinik gegangen. Auch das kann ich noch verstehen. Aber dann haben sie öffentlich solche Freunde an ihrem persönlichen Glück der späten Schwangerschaft, dass sie Interviews geben und in TV-Sendungen gehen.

Klingt erstmal nicht wild – und doch beginnt sich dabei für mich als Kinderwunsch Coach ein ungutes Gefühl einzuschleichen. Wenn ich mich recht erinnere, hat Frau Beil in diesen Interviews deutlich den Eindruck vermittelt, dass das, neben Glück, gesunder Ernährung und ein wenig Kinderwunsch-Medizin, alles gar kein Problem sei. Dass es ausreicht, wenn man sich um eine entspannte Einstellung bemüht und dann – schwups – schwanger wird. „Stress dich nicht – dann klappt das“ und „Entspann‘ dich mal“ und „Wenn man es nicht zu sehr will“ – all das sind die Sätze, die Frauen, die seit Jahren mit ihrem (unerfüllten) Kinderwunsch zu tun haben, hören müssen… in der Regel von Menschen, die das nicht selbst erlebt haben. Es ist für mich „Bullshit-Bingo“. Und es tut weh. Dass Frau Beil in dieses Horn stößt, verwundert mich zutiefst.

Nicht jede Frau kann (einfach) schwanger werden

Das ist ein Schlag ins Gesicht für all die Frauen, die über Jahre genau das getan haben und nicht schwanger wurden. Die den harten Weg des Abschiednehmens beschreiten müssen. Das ist ein verletzender Schlag für alle, die in ihren Bemühungen nicht mit dem ersehnten Wunschkind gesegnet wurden. Und dann kommt eine erheblich ältere Frau und stellt alles so locker flockig dar. Versteht mich nicht falsch, sie kann das tun, es ist ihr gutes Recht. Und ich gönne ihr das private Glück. Ja, der Babybauch steht ihr gut.

Aber wie viele Frauen (und auch ich persönlich) haben sich genau das gewünscht? Haben alles gegeben; auf alles verzichtet – und haben das Glück nicht. Ist es da nicht ein Schlag in die Magengrube, dass der Eindruck vermittelt wird „alles ist möglich“ und „sei entspannt“ würde reichen?

Zur Wahrheit gehört auch: schwanger zu werden ist ein großes Glück

Wissen Sie, liebe Frau Beil, wie viele Frauen sich jetzt – auf Basis Ihrer Interviews – wieder von wohlmeinenden Menschen aus ihrem Umfeld anhören müssen, sie wären dann wohl zu empfindlich gewesen oder nicht entspannt genug? „Nimm’ dir mal ein Beispiel an Frau Beil – die war ja auch ganz entspannt“. So ein Käse.

Wissen Sie, wie verletzend es sein kann, wer der eine mit seinem Glück dermaßen prahlt, während die andere um ihr kinderloses Leben weint?

Wissen Sie, dass Sie statistisch gesehen ein riesengroßes Glück hatten?

Wissen Sie, wie viele Frauen jetzt überlegen, ob sie – angesichts Ihrer Erfolgsstory – es nicht doch noch mal versuchen müssen (!), auch wenn die Chancen noch so verschwindend gering sind? Weil es bei Ihnen ja auch geklappt hat. Weil Sie ihnen paradoxerweise Hoffnung geben, wo keine ist – laut der Ärzte, laut der eigenen Seele.

Wissen Sie, wie viele Frauen es sind, die ihren Kinderwunsch mühsam hinter sich gelassen haben und sich Schritt für Schritt mit ihrem Schicksal arrangiert haben, die nun wieder alle Fragen für sich neu bedenken und bewerten müssen? Das ist für diese Frauen nicht nur ein Schritt zurück – es sind oftmals hunderte von Schritten. Hunderte von Schritten, für die diese Frauen in den letzten Jahren viel Kraft investiert haben. Sie machen das für viele Frauen zunichte. Sie müssen sich jetzt wieder mit dem Thema, ihrem Schmerz und ihren Wunden auseinandersetzen. Und mit ihren Fragen, ob sie genug getan haben – oder es nun doch noch einmal versuchen müssen – auch, um sich später im Alter keine Vorwürfe machen zu müssen.

Wissen Sie, wie viele Frauen sich jetzt bei mir melden und um Hilfe ersuchen, weil sie ihren kinderlosen Weg nicht mehr länger für sich akzeptieren können?

Wissen Sie, wie viele Frauen nun auf einmal sich selbst sagen „wenn die es geschafft hat, dann kann ich nicht locker lassen, dann muss ich noch einmal alles versuchen – zur Not im Ausland mit Eizellspende und Fremdsperma; um jeden Preis“?

Es ist wichtig, wie wir über Schwangerschaften sprechen

Klar, können Sie jetzt sagen, das hätten Sie nicht beabsichtigt, sondern sich einfach nur über Ihr persönliches Glück gefreut. Gekauft. Aber wer so laut über sein Glück spricht, muss – gerade in Ihrer Exponiertheit und mit Ihrer medialen Erfahrung – damit rechnen, dass das eine Wirkung erzielt. Ich weiß nicht, ob Sie sich im Klaren waren, wie viele Wunden sie öffnen und wie viele Frauen Ihretwegen nun alles hinterfragen, weil sie eben (noch) nicht im Wechsel sind. Die fast von vorne beginnen müssen. Frauen, die nun mit Mitte 40, Ende 40, Anfang 50 wieder in die Kinderwunschklinik – im Inland und im Ausland – gehen.

Das sind Frauen, die sich schmerzhaft mit dem unerfüllten Kinderwunsch arrangiert hatten und das nun nicht mehr (so leicht) können. Manche sagen jetzt bestimmt, dass der Kinderwunsch dann noch nicht ausreichend verarbeitet gewesen wäre. Manche sagen jetzt, dass diese Frauen dann jetzt ja eine Chance hätten, sich noch einmal neu aufzustellen. Klar, Probleme kennen wir ja nicht – nur Herausforderungen. Mag sein, aber der Schmerz fühlt sich nicht so an; die Angst und die Unsicherheit über getroffene Entscheidungen, verpasste Chancen und das restliche Leben fühlt sich anders an. Tiefer. Schwerer. Verwurzelter.
Die ewige Frage: Habe ich wirklich alles versucht?

Wissen Sie, wie viele Frauen das sind? Ziemlich viele. Das kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen. Auch wenn sich vermutlich nur ein Bruchteil sich bei mir meldet, die nun ein Thema – eine Lebensfrage – eine Hoffnung und eine Angst wieder auf ihrem seelischen Tisch haben. Und die nun nicht mehr sicher sagen können „ich habe alles versucht“ und deshalb wieder zweifeln.

Ich wünsche Ihnen Glück auf Ihrem Weg und für Ihr Baby, liebe Frau Beil. Von Herzen wünsche ich Ihnen Glück. Ich freue mich über jedes Kind, das auf die Welt kommt – und über jede Frau, die dieses Glück erleben darf. Alles Gute!
Eine Bitte hätte ich aber noch: Vielleicht könnten Sie demnächst etwas ausgewogenere Interviews geben und nicht nur so tun, als wäre das „alles gar kein Problem“. Denn für viele Frauen war und ist es nicht leicht, ein kinderloses Leben, aber dennoch ein glückliches Leben zu leben.

Unterstützen Sie sie doch dabei, statt mit dieser scheinbaren Leichtigkeit Salz in ihre Wunden zu streuen. Diese Wunden sind nämlich tief und werden im besten Fall irgendwann nur mehr Narben sein. Aber bis sie verheilt sind, bis sie verblassen, ist es hart. Verdammt hart. Bitte tun Sie in der Öffentlichkeit doch nicht so, als wäre jede Frau, bei der es – auch mittels Kinderwunschbehandlungen – nicht geklappt hat, nur einfach nicht entspannt genug gewesen. Dankeschön!

Hinweis: Dieser Text ist zuerst auf Kindersehnsucht.de erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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