Foto: Christoph Neumann

„Frauen sind geniale Führungskräfte – denn wir nutzen für diese Aufgabe auch unsere Emotionen“

Fruzsina Szép ist nicht nur die Festivalleiterin des Lollapalooza Festivals in Berlin und hat es so als eine der wenigen Frauen in der Musikbranche weit nach oben geschafft – sie hat auch abseits ihres Berufes eine spannende Lebensgeschichte. Höchste Zeit für ein Treffen – wir haben sie besucht.

 

Von den Stärken der Frauen, Herausforderungen und Musik, die verbindet

Was treibt uns an? Wo kann man es hinschaffen, wenn man für eine Sache so richtig brennt? Und was hat das, was uns in unserer Kindheit geprägt hat, mit unserem späteren Lebensweg zu tun? Heute bekomme ich auf diese Fragen Antworten von Fruzsina Szép, Festivalleiterin des Lollapalooza Musikfestivals.

Der Weg zu Fruzsina führt mich erst einmal durch einen der vielen Hinterhöfe in Kreuzberg, die der kreativen Szene in Berlin eine Heimat bieten. Einige Treppen später gelange ich zu einer schweren Eisentür, hinter der sich ein großes Fabrikloft auftut, das von vielen jungen, hippen Leuten besiedelt wird. Kaum dort angekommen läuft mir auch schon eine Frau mit schwingendem Rock, einer geblümten Bluse und altmodischen, knöchelhohen Schnürstiefeln, entgegen– dazu ein herzliches Lächeln im Gesicht. Es ist Fruzsina.

Ich hatte eher Jeans und Lederjacke erwartet, aber dieses Klischee begegnet ihr nicht zum ersten Mal. Denn später wird sie mir erzählen, dass sie ihre Weiblichkeit ganz bewusst zeigt und lebt – auch wenn viele andere Frauen, zumindest die paar, die es in der Musikbranche nach oben schaffen, diese irgendwann ablegen. Doch sie hält genau das nicht für eine Schwäche, sondern für eine ihrer größten Qualitäten. Frau sein, sie sein, und damit etwas eine neue Handschrift zu verpassen, das so lange tief und fest im Kumpelnest der Männerdomäne verankert war. Wir bahnen uns einen Weg durch das bunte Gewusel, um einen freien Platz zu finden, an dem wir in Ruhe sprechen können.

„Wenn ich merke, dass ich eine Wand vor mir habe, werde ich erst recht angestachelt.“

Kaum sitzen wir, beginnt sie halb lachend und doch sehr ernst zu erzählen: von der Situation des Festivals, den Problemen, die Ende des letzten Jahres auf sie zukamen und wie man so eine riesige Veranstaltung überhaupt wuppen kann. Sie beginnt bei dem Moment, als ihnen im Dezember 2015 klar wurde: Auf dem Gelände des Flughafen Tempelhof können wird das dieses Jahr nicht umsetzen, diesen Ort brauchen jetzt Geflüchtete aus aller Welt dringender, um wenigstens kurzzeitig irgendwo, irgendwie unterzukommen. Und wie dann die lange Suche nach einem neuen Ort begann, an dem sie die erste europäische Ausgabe des weltbekannten Festivals veranstalten können.

Sie lacht: „Wie Pfadfinder haben wir uns umgesehen, vermessen, geplant, bis wir den Treptower Park für uns entdeckt haben.“ Aber damit war noch immer keine Lösung gefunden, denn auch hier warteten wieder jede Menge Probleme. Der Bezirk war dagegen und die Anwohner waren es auch. Eine Petition wurde gestartet, denn niemand sollte den Park, die Erholungszone mitten in der Stadt kaputt machen – zumal in dessen Neugestaltung gerade jede Menge Gelder geflossen sind. Aber aufgeben, war auch jetzt keine Option. „Wenn ich merke, dass ich eine Wand vor mir habe, werde ich eher noch angestachelt,“ lacht Fruszina. Weil es sie reizt, sie einzureißen? Nein”, ihr Blick wird wieder ernst, weil ich dann eine echte  Herausforderung vor mir habe, eine Lösung zu finden, eine Tür zu bauen.“

Und genauso begegnet sie nun auch den Hürden, die sie bis zur erfolgreichen Umsetzung des Lollapalooza noch zu meistern hat. Seit Monaten gibt es wöchentliche, mehrstündige Treffen mit den zuständigen Behörden, um zu veranschaulichen, dass sie das Festival dort stattfinden lassen können, ohne den Park zu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen – und auch, dass sie eine Renaturalisierung nach den Festivaltagen bewerkstelligen können. Fruzsina glaubt an den Standort, auch weil er der „grünen Idee“ des innerstädtischen Festivals entspricht: die Leute sollen dort mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder dem Rad ankommen können – und nicht mit Tausenden von Autos. Um wirklich glaubhaft zu vermitteln, dass sie nicht leichtsinnig mit der Anlage umgehen werden, macht die Festivalleiterin sogar Hausbesuche bei den Anwohnern. „Ich verstehe das, sie haben Angst, weil sie nicht wissen, was da genau passieren soll – und die will ich ihnen im persönlichen Gespräch nehmen. Der Dialog ist einfach sehr wichtig.“

„Das Team agiert so, wie es die Führung vorlebt. Denn der Fisch stinkt immer vom Kopf her.“

Bei den Anwohnern hatte sie Erfolg damit, aber ob sie die finale Zusage vom Bezirk bekommt, wissen sie und ihr Team immer noch nicht. Was wäre dann? „Diesen Gedanken lasse ich gar nicht zu, ich will meine Energie voll auf den positiven Ausgang dieser Episode konzentrieren.“  Und das verlangt allen, von ihr bis zu ihrem Team, eine ganze Menge ab. Wer rennt schon gerne, sprintet, wenn man nicht weiß, ob man das Ziel wirklich erreicht? Das Eventgeschäft, kann ein sehr mühsames sein. Aber auch hier zählt wieder: aufgeben ist nicht – und das versucht sie auch ihrem Team täglich zu vermitteln. „Das Team agiert so, wie es die Führung vorlebt. Es gibt ja diesen Spruch: ‚Der Fisch stinkt immer vom Kopf her’ – und da steckt viel Wahrheit drin.“, sagt sie lächelnd. Aber wichtig ist ihr nicht nur, die Motivation aufrecht zu erhalten, sondern auch eine echte Ansprechpartnerin für ihre Kollegen zu sein. „Ich bin für mein Team sehr nahbar. Das habe ich aus meiner Kindheit mitgenommen. Mein Vater war blind und für mich hatte die menschliche Kommunikation so nie nur etwas mit Worten, sondern auch mit Berührungen und dem, was man sich nonverbal entgegenbringt zu tun.“ 

„Frauen sind sehr belastbar, das liegt in unserer Natur.“ 

Aber wie ist Fruzsina überhaupt hier hin gekommen, an den Punkt, an dem sie mit allem, was sie an Kraft mobilisieren kann, für ein Festival kämpft? Und wieso ist ihr das so wichtig? Nun, einerseits bringt sie für den Job als Festivalleiterin viel Erfahrung mit, schließlich arbeitet die Anfang 30-Jährige seit sie 18 Jahre alt ist, in der Musikbranche und hat vor ihrem Wechsel in die Hauptstadt schon fünf Jahre lang das Sziget Festival in Ungarn als Direktorin geleitet, das jährlich mehrere Hunderttausende Besucher anzieht. War es denn nicht schwer, sich als Frau in dieser Branche durchzusetzen? „Nun ja“, sagt sie, „noch immer sind viele Männer in Entscheidungspositionen und deren Haltung ist häufig, dass sie anderen Männern diese Aufgaben eher anvertrauen können als Frauen. Und noch immer glauben viele Frauen, dass sie es nicht schaffen können.” Ist da denn was dran? Sie winkt ab. „Nein, Frauen sind sehr belastbar, das liegt in unserer Natur. Und Frauen sind geniale Führungskräfte, denn wir nutzen für diese Aufgabe neben unserer Erfahrung auch unsere Emotionen – und die braucht es dafür auch.“

Neben einem emotionalen Führungsstil, gehört aber auch viel harte Arbeit zur Erfolgsformel von Fruzsina. Ganz besonders in der heißen Phase, ein paar Wochen vor dem Festival, in denen sie kaum noch vor zwei oder drei Uhr in der Nacht ihr Büro verlässt. „Ich bin ein Workaholic – und es kam auch schon vor, dass mein Chef zu mir sagte, geh jetzt bitte mal nach Hause. Es ist dieses Adrenalin, was mich zusammenhält. Ich liebe Festivals einfach und es ist nicht nur meine Arbeit, sondern auch mein Hobby. Meine Leidenschaft.“  Um ihre Leidenschaft wirklich leben zu können, war es aber auch essentiell,  sich immer wieder zu fragen, welcher Weg der richtige ist. „Es gab viele Angebote, zu denen ich Nein gesagt habe. Für mich ist wichtig, dass ich mich bei dem Gedanken an den Job wohlfühle. Und ja, das Finanzielle ist auch wichtig. Aber ich bin nicht käuflich.“

„Meine Mutter ist eine sehr starke Frau. Ohne ihre mutige Entscheidung wäre ich nicht da, wo ich heute bin.“

Seit zwei Jahren lebt die gebürtige Ungarin nun in Berlin – aber auch München kennt sie ganz gut, denn dorthin kam sie 1985 im Alter von sechs Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem großen Bruder als Flüchtlingskind. Ihren Vater konnten sie erst einige Zeit später über die Grenze schmuggeln, da er es auf anderem Wege nicht nach Deutschland geschafft hätte. „Wir mussten Ungarn aus politischen Gründen verlassen, weil mein Vater in einer sehr restriktiven Zeit ein Verfechter der freien Gedanken war. Unsere Mutter hatte Angst um die Zukunft ihrer Kinder und wollte meinem Bruder und mir eine bessere Chance im Leben geben, sie ist eine sehr starke Frau. Ohne diesen Schritt von ihr wäre ich bestimmt nicht da wo ich heute bin.“

Wie sie die Zeit der Ankunft in Deutschland in Erinnerung hat? „Sehr schön“, sagt sie. „Wir wurden sehr herzlich aufgenommen, die Kinder waren in der Schule sehr nett zu mir, obwohl ich erst einmal kein  Deutsch konnte und meine Mutter war bei unseren Nachbarn durch ihre herzliche Art sehr beliebt. Und nach vier Monaten, da habe ich dann in der Weihnachtsgeschichte schon den Engel gespielt!“ Ihre Augen blitzen stolz, während sie das erzählt. Offen mit neuen Situationen umzugehen, hat Fruzsina also in ihrer Kindheit gelernt. Aber wann kam die Begeisterung für Musik? „Unsere Eltern prägen uns. Und Kultur und Musik waren immer ein wichtiger Part in unserer Familie – es wurde mir einfach in die Wiege gelegt.“ Und spätestens als ihre Eltern dann beim „Radio
Free Europe“ zu arbeiten begannen, einem Sender der sich dem Auftrag
verschrieben hatte, Hörern in den ehemals kommunistisch regierten Ländern demokratische Werte zu vermitteln, und das Menschenrecht auf freien Nachrichtenzugang zu ermöglichen, wurde ihr auch die politische, aufklärende Dimension bewusst, die Musik haben kann.

„Wir wollen mit dem Festival eine Brücke zwischen den Kulturen bauen.“

Fühlte sie sich eigentlich je als Fremde hier? Nein, sagt sie, da hatte sie immer Glück. „Meine Freunde sagen auch immer: Fruzsina, du lebst in  Berlin, also bist du auch Berlinerin.“ Und so fühle sie sich auch: Willkommen. Und genau das will sie auch mit dem Lollapalooza vermitteln. „Weißt du, mit einem Festival kann man Brücken bauen, zwischen Kulturen und zwischen Nationen. Und genau das wollen wir bei uns dieses Jahr besonders sichtbar machen. Aber nicht so, dass wir uns eine Brosche an die Brust heften, die uns gut aussehen lässt – sondern so, dass die Menschen es spüren.“ Und man will ihr glauben, dass genau das klappt. Was sie allen Frauen sagen will, die auch in der Musikbranche nach oben
kommen wollen? Über diese Antwort muss sich Fruzsina keine langen Gedanken machen: „Traut euch mehr! Frauen sollten sich viel mehr trauen – wir haben eine ganz besondere Energie, die sich im Team verbreitet. Und diese Energie kann vieles Graue sehr sehr bunt färben.“

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