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K.o.-Tropfen – Ohne meine Freundin wäre ich vermutlich vergewaltigt worden

Eine ausgelassene Partynacht kann durch K.o.-Tropfen schnell zu einer ernsthaften Gefahr werden. Das zeigt dieser Erfahrungsbericht von ze.tt auf eindrückliche Weise.

„Dich würd ich jetzt richtig schön ficken!“

ze.tt, Missy-Magazin, Straight und Rosegarden veröffentlichen unter der Aktion „Nein heißt nein“ verschiedene Inhalte rund um den Gina-Lisa-Lohfink-Prozess und die sexuellen Selbstbestimmung von Frauen.

Ich erinnere mich an einen Mann an der Bushaltestelle, ein kleiner mit roten Haaren und zotteligem Bart. Er sagte: „Dich würd ich jetzt richtig schön ficken!“

Ich lehne mich mit meiner linken Schulter gegen die Fliesen des Damenklos, sie sind kalt, mir ist so warm. Für Ende April ist es eine sehr laue Nacht in München. Ich trage ein cremefarbenes Top, eine schwarze Stoffhose und schwarze Pumps – Stylecheck in den Spiegeln gegenüber an der Wand: Während meine Freundin auf Toilette sitzt, zupfe ich an mir herum und warte.

Plötzlich fühle ich mich wie ein seekranker Matrose, vor dessen Bullauge seiner Kajüte das Wasser hin- und herschwappt. Als hätte mir jemand einen Schleier über die Augen gelegt. Mir ist innerhalb von Sekunden so schwindelig, dass ich mich nicht einmal mehr an den Waschbecken unter den Spiegeln festhalten kann. Meine Hände rutschen ab und ich bin kurz davor, auf dem Boden aufzuschlagen, als mich meine Freundin von hinten packt und abfängt. Sie denkt, ich sei besoffen. Wir haben beide dieselbe Spinatlasagne zum Abendbrot gegessen und ein Glas Weißwein getrunken. Ich denke: Was ist mit mir?

Mein Glas stand direkt hinter mir

Sie wollte erst gar nicht mitkommen. Aber ihr Freund war nicht da und sie hätte eh nur zu Hause rumgesessen. Also bekam ich sie schnell überredet, mit mir und diesen fünf Typen auf eine Hip-Hop-Party zu gehen. Einer ist ein guter Freund einer guten Freundin von mir, ich glaub‘, er stand ein bisschen auf mich, in dieser Nacht vor zwei Jahren.

Wir tanzten gut anderthalb Stunden. Ich hatte mir ein Glas Weißwein gekauft und es direkt hinter mir auf einem kleinen Holz-Vorsprung vorm DJ-Pult abgestellt. Kein anderer trank von meinem Glas. Im Blick hatte ich es trotzdem nicht. Jeder hätte mir irgendetwas hinein tun können.

Mein Kopf nimmt alles wahr, Mein Körper kann sich nicht bewegen

Sie schleppt mich vom Klo in den Außenbereich des Clubs. Ich würde nicht behaupten, dass ich „trinkfest“ bin, aber ich mache viel Sport und esse genügend vor Partys, sodass ich weder zu Schwindelgefühl noch zu Brechreiz neige. Ich wundere mich über meinen Körper und stammele: „Ich bin nicht betrunken. Etwas stimmt nicht mit mir.“

Sie lehnt mich so gegen ein Geländer, dass ich nicht abrutschen kann und holt unsere Jacken. Ich merke, dass es anfängt, zu regnen und mir Wasser auf den Kopf prasselt. Ich merke nicht, dass ich etwa einen Meter neben der Überdachung des Außenbereichs stehe und nur einen Schritt nach links gehen müsste, um nicht nass zu werden. So regnet es auf mich, ohne dass ich es ändere. Meine Freundin erzählt mir im Nachhinein, dass sie das am meisten wunderte, mich so zu sehen.

Während ich mich vollregnen lasse, starren alle anderen Partygäste mich an. Sie lästern über mich, ich merke das. Ich bin wütend und will ihnen sagen, dass ich gar nicht betrunken bin. Dass ich keine bin, die nicht weiß, wie viel sie verträgt. Doch ich kann nicht mehr richtig sprechen. Aus meinem Mund kommen nur Laute, keine Worte. Ich bin entsetzt: Mein Kopf ist klar, aber mein Körper machtlos. Ich kann denken und die Situation um mich herum wahrnehmen, aber mich weder artikulieren, noch richtig bewegen. Es ist, als sei die Informationsübertragung zwischen Gedanken und Handeln gekappt worden. Man könnte mich einfach so drehen, schubsen, wegtragen – ich könnte mich nicht wehren.

Ich schäme mich; Warum?

Meine Freundin stopft unsere Jacken in ihre Tasche, legt meinen linken Arm um ihre Schultern und hievt mich Richtung Clubausgang, als zwei Türsteher vor uns auftauchen. In meiner Erinnerung sehen sie aus, wie man sich Türsteher eben so vorstellt: Massig, glatzköpfig, grobschlächtig in weite schwarze Jacken gepackt. Sie raten ihr, mich mal lieber wegzubringen, ich sei ja „total zu“. Statt uns zu helfen, machen sie mir große Angst und ich schäme mich.

Dass ich mich schäme, bereitet mir  bis heute Kopfzerbrechen und ist der Grund für diesen Text: Warum schämte ich mich? Ich war ganz offensichtlich diejenige, die unverschuldet in eine körperliche Ausnahmesituation geraten war. Die, die sich nicht mehr alleine bewegen und verständigen konnte. Trotzdem war mir mein Verhalten höchst peinlich, weil ich niemandem sagen konnte, dass ich nicht besoffen, sondern – warum auch immer – sehr benebelt war.

Mein Gefühl von damals erinnert mich an eine Diskussion heute, die rund um den „Gina-Lisa-Lohfink-Prozess“ geführt wird: Wie soll ich mich als Frau verhalten oder vielmehr, welches Verhalten wird von Frauen erwartet? Gina-Lisa Lohfink ist bekannt für wilde Partys, Pornofilmchen und Sex – so what? In der Berichterstattung über sie entsteht mitunter der Eindruck, zum Beispiel in diesem Beitrag der Welt über die „wasserstoffblonde Hessin“, dass es mit ihrer Art zu leben ja quasi legitim sei, dass sie ein Opfer sexueller Gewalt hätte werden können.

Auch wenn bislang nicht abschließend geklärt ist, ob sie vergewaltigt wurde oder den beiden Männern diese Tat nur unterstellt, als vorläufiges Fazit entsteht durch solche Artikel das: Die ist ja selbst Schuld, wenn sie sich betrinkt und feiert. Was ist das für eine Message an alle Frauen?

Frauen sind nicht selber schuld!

Willkommen im Mittelalter! Warum muss ich als Frau, wenn ich feiere und trinke, davon ausgehen, dass ich mich in Gefahr begebe? Diejenigen, von denen Gefahr ausgeht, müssen zivilisiert werden, nicht ich! Mich macht es so wütend, dass ICH mich schlecht fühle, wenn mir jemand im Club an den Hintern grabscht, dass ICH überlegen muss, ob ich nicht lieber was Längeres und keine hohen Schuhe angezogen hätte. ABER ich bin nicht diejenige, die sich schlecht fühlen oder etwas ändern sollte, sondern alle die, die Frauen in knapper Kleidung auf Partys oder sonst wo, für Freiwild halten, nur weil sie sich frei und wild – und das dürfen sie – verhalten.

Trotzdem schäme ich mich in dieser Nacht in München, weil es sich nicht ziemt als Frau besoffen zu sein. So etwas wie betrunkene männliche Fußballfans in U-Bahnen sind hingegen okay und „gehören halt dazu“. Das habe ich gelernt in unserer Gesellschaft. Akzeptieren kann ich es nicht.

Wer ist dieser Typ?

Wir kommen an eine Bushaltestelle. Ich weine und zittere, mein Bauch krampft sich nach Innen, alles an mir bebt. Ich muss mich übergeben. Immer und immer wieder fahren Busse vorbei, immer und immer wieder drehe ich mich von der Wartebank nach rechts und kotze. Mir ist das alles so peinlich, vor meiner Freundin, vor den Leuten, die aus den Bussen ein- und aussteigen, vor mir selbst.

Auf einmal steht ein Mann neben uns. Mitten in der Nacht. Und lässt ebenfalls einen Bus nach dem anderen wegfahren. Mir ist mulmig. Obwohl er kleiner ist als ich, wirkt er bedrohlich. Ich habe Angst vor ihm. Meine Freundin merkt das und versucht ihn zu ignorieren. Er spricht uns an. Sie reagiert nicht. Ich bin mit mir selbst beschäftigt. Er will wissen, wie wir heißen. Dann will er nur noch wissen, wer ich bin, was ich mache, ob ich einen Freund habe. Ich antworte nicht. Seine Stimme hallt wie ein fernes Rauschen durch meine Ohren. Ich wünsche mir, dass er einfach nur geht. Er hockt sich mit etwa einem Meter Abstand neben mich, obwohl ich mich alle paar Minuten erbreche. Er ist mir ziemlich nah und macht mir Komplimente. Ich bin verdutzt und erwidere nichts.

Was wäre passiert, wenn meine Freundin nicht da gewesen wäre?

Nach einer Weile steht er wieder auf und lehnt sich gegen die Außenwand der Haltestelle. Ich werfe meiner Freundin Blicke zu: Was will er? Seine Stimme wird leiser, er raunt jetzt. Dass, was ich höre, ist: „Dich würd‘ ich jetzt richtig schön ficken!“ Ich verstehe die Welt nicht mehr. Meine Freundin ist entsetzt. Sie hat auch Angst. Wir sagen nichts. Sie erzählt mir im Nachhinein, dass er noch viel mehr solcher Sachen sagt, sich seinen sexuellen Fantasien mit mir ganz hingibt, während ich ihm quasi vor die Füße kotze.

Ab dieser Stelle weiß ich nichts mehr. Meine Freundin entschließt sich schnell ein Taxi zu rufen, wir fahren zu ihr. Ich übergebe mich die ganze Nacht und schlafe fast einen Tag in ihrem Bett. Als ich wieder ganz zu mir komme, sind achtzehn Stunden vergangen. Am Tag darauf rufe ich beim Veranstalter an und erzähle, was mir passiert ist. Der Mann am Telefon zeigt sich mitfühlend und sagt mir, sie würden ihr Personal vor dem nächsten Event briefen, besser auf so etwas zu achten. Ich frage, ob so etwas öfter vorkomme. Es sei schon mal passiert, ja.

Ich googele nach der Wirkung von K.o.-Tropfen und finde meinen Verdacht bestätigt, dass mir vermutlich etwas ins Glas getan wurde. Was es war und wer es war – ich weiß es bis heute nicht. Einen Tag später gehe ich zu meiner Hausärztin und schildere ihr den Fall, die Partynacht ist mittlerweile fast 48 Stunden her. Sie macht einen Urintest und nimmt mir Blut ab, es kann nichts Verdächtiges mehr gefunden werden. Das, so sagt sie mir damals, läge aber wahrscheinlich daran, dass schon zu viel Zeit vergangen sei.

„Sie hatten Glück“

„Es gibt unterschiedliche Substanzen, die als K.o.-Tropfen gelten“, erklärt mir Doktor Marko Böhm, 46, Oberarzt und Ärztlicher Leiter der Rettungsstelle Charité Mitte Berlin, für diesen Artikel. Ihnen gemein sei, dass sie im Blut ein bis zwei, im Urin nur bis zu sechs Stunden nachgewiesen werden könnten. Böhm kennt sich aus mit Menschen, die K.o.-Tropfen eingenommen haben, bewusst oder unbewusst. Jedes Wochenende erlebt er Partygänger mit typischen Symptomen: Schwindel, Benommenheit, Bewusstlosigkeit, sexuelle Enthemmtheit, Übelkeit, Brechreiz.

Ich schildere ihm meine Geschichte. „Sie hatten Glück“, sagt er, „wahrscheinlich hatten sie eine geringere Dosis intus, sonst wären sie vermutlich umgekippt.“

Ich hätte zur Polizei gehen sollen

Ich überlegte damals, wegen des Typens an der Bushaltestelle zur Polizei zu gehen und tat es nicht. Was sollte ich denen schon sagen: „Hallo, ich hatte eventuell K.o.-Tropfen im Glas und kann mich deshalb nicht mehr genau an ihn erinnern, aber er hat mir mit sexuellem Missbrauch gedroht?“ Wieder kam ich mir dumm vor.

Heute weiß ich, es war falsch, es nicht zu tun: Selbst das Andeuten sexueller Handlungen, für die ich ganz offensichtlich nicht aufgeschlossen bin, sollten angezeigt werden. Und auch bestrafbar sein. Es kann nicht sein, dass ich mir als Frau gefallen lassen muss, dass man „mich ficken“ möchte, obwohl ich etwas dagegen habe. Das ist der Grund, warum ich mich für die Aktion „Nein heißt nein“ und eine Verschärfung des Sexualstrafrechts einsetze.

 

Der Originaltext von Marieke Reimann ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen. 

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