Mia Morgan trägt ein weißes Kleid und eine Kettenhaube und hält ein Schwert über ihren Kopf.
Foto: Can Wagener

Mia Morgan: „Ich will einfach, dass es reicht, gute Kunst zu machen“

Die Musikerin Mia Morgan hat sich durch ihre einzigartige Mischung aus 80er-Jahre-Synthie-Pop und düsteren, oft feministischen Songtexten einen Namen gemacht. Im Interview spricht sie über weibliche Wut, patriarchale Strukturen in der Musikszene und warum sie sich nie wieder verbiegen will.

Mia Morgan begann ihre Karriere mit Akustik-Sessions und Open-Mic-Shows, bevor sie mit der Demoversion ihres Songs „Waveboy“ 2018 viel Aufmerksamkeit erregte. Seitdem hat sie mehrfach veröffentlicht, darunter die EP „Gruftpop“ und das Debütalbum „FLEISCH“. Ihr neues Album „silber“ ist soeben erschienen, und die neuen Texte – wieder sehr ehrlich und persönlich – werden von einem deutlich härteren, rockigeren Sound und einer neuen Ästhetik begleitet. Es geht um weibliche Wut, eine männerdominierte Welt, aber auch um existenzielle Fragen des Erwachsenwerdens. Das alles mit einem Sound und einem Look, der im besten Sinne an die frühen 2010er Jahre erinnert. Im Interview spricht Mia unter anderem über die wichtigsten Themen in ihrem neuen Album, den Weg zu einer feministischen und gleichberechtigten Konzertkultur und Musikszene, sowie die Herausforderungen als Independent Musikerin.

Liebe Mia, dein Debütalbum FLEISCH ist nun drei Jahre her, silber fühlt sich wie eine neue Ära an, wie ein Imagewechsel.

„Ja, es ist die logische Konsequenz aus den letzten Jahren. Ich bin in meinem Job angekommen und merke, was ich kann und was ich möchte. Bei meinem ersten Album habe ich noch versucht, Sachen zusammenzubringen, die per se nicht gut vereinbar sind. Nämlich einmal diesen verkrampften Wunsch, etwas zu machen, was wirklich alle gut finden, aber gleichzeitig einen sehr eigenen Sound zu haben, der eigentlich ausschließt, dass alle das gut finden. Das hat sich negativ auf das Album selbst und auf die Zeit während FLEISCH ausgewirkt.

Diesen Sommer gehe ich schon zum vierten oder fünften Mal mit meiner Band auf Tour. Wir kommen alle aus der Rockszene und haben in unserer Jugend die gleichen Bands geliebt. Deshalb haben wir immer mehr Spaß daran gehabt, auf der Bühne rockigere Versionen meiner Popsongs zu spielen und mehr draufzuhauen mit längeren und stärkeren Versionen. Ich habe richtig gemerkt, dass mich das viel glücklicher macht als ein hauptsächlich vom Band kommendes Instrumental. Es ist eine Wiederkehr zu der Mia, die ich eigentlich bin. Metal und Emo-Musik waren immer schon das, wofür mein Herz am meisten geschlagen hat. Sich dem so hinzugeben, ist für mich eine natürliche Entwicklung. Dazu kommt, dass ich jetzt wieder komplett independent bin und dass alles mehr Selfmade ist.“

Dein erstes Album FLEISCH hat sich viel mit Frau-Sein, Körper und Weiblichkeit auseinandergesetzt. Mit welchen Themen und Gefühlen verbindest du silber?

„Wut, auf jeden Fall. Es ist ein Album, das sich mit meinem Sein als Musikerin beschäftigt. FLEISCH hat sich mehr mit dem Sein als Mädchen beschäftigt, es war ein ‚Coming of Age‘-Album. Mit Anfang 20 habe ich die Songs geschrieben, aber thematisch haben sie eher Dinge verhandelt, die für mich von 17 bis 19 präsent waren.

Die Texte in silber gehen auch wieder ums Frau-Sein, aber im Kontext des Berufes und Überlebens in einer männerdominierten Industrie. Natürlich sind nicht alle Leute, die die Texte hören, Musiker*innen wie ich, aber ich glaube, man kann meine Songs auch auf andere Felder übertragen. Patriarchale Strukturen zeigen sich überall, ob im kleinen Café oder im Second Hand Shop nebenan.

Außerdem geht es um das Erwachsensein und die Frage: Was kommt jetzt und was kommt dann? Es gibt ein paar Songs, die sich mit dem Tod oder mit Familie auseinandersetzen oder mit der Frage: Was schaffe ich in der Welt? Das war auch ein Gedanke, der bei mir aus dem Musikmachen resultiert ist. Wenn man damit anfängt, stellt man sich natürlich vor, man geht voll durch die Decke und wird saureich und dann merkt man, dass es nicht so einfach ist. Im letzten Jahr bin ich krank geworden und musste schnell operiert werden. Dadurch musste ich super viele Konzerte absagen und habe gar kein Geld verdient.

So bin ich von einem Punkt vor zwei Jahren, an dem ich ganz gut von Musik leben konnte, zu einem Punkt gekommen, an dem es wieder ums Überleben ging. Diese Ambivalenz ließ mich viel nachdenken. Was ist mein Wert als Mensch in dieser Branche? Was wäre, wenn ich nicht mehr da wäre? Was hinterlasse ich? Das sind so existenzielle Fragen, die man sich mit Ende 20, Anfang 30 stellt. Wenn man anfängt, zu reflektieren, wo man herkommt, wo man ist und wo man hingeht.”

In dem Song (spielen mit den großen) Jungs wirkst du sehr selbstbestimmt und aufbrausend. Hast du das Gefühl, dass du die Szene aufmischst?

„Das Problem ist: Meine Wirkungskraft reicht an diesem Punkt nicht aus. Ich frage mich, ob das eine das andere bedingt: Ob es genau daran liegt, dass ich solche Themen anspreche – Themen, die im Mainstream oder auf großen Bühnen oft keinen Platz finden. Vielleicht nehme ich mir selbst die Chance, indem ich immer wieder betone, dass ich oder andere FLINTA* diese Chance verdient hätten. 

Berühmtheit lässt sich nicht kaufen – aber mit großem Budget und den richtigen Kontakten lassen sich Hebel in Bewegung setzen, die mir als Independent Artist nicht zur Verfügung stehen. Das ist einfach ein Fakt. Natürlich hätte ich eine krassere Wirkung, wenn ich ein größeres Publikum erreichen würde. Ich denke und hoffe, dass die meisten Leute, die mich hören und sich mit mir auseinandersetzen, meine Haltung oder Meinung teilen. So sind wir aber natürlich auch in einer Echokammer. Ich wünsche mir, dass meine Musik über diese Echokammer hinaus hörbar wird, aber mir sind als unabhängige Künstlerin auch die Hände gebunden. Und das ist oft frustrierend – gerade, wenn man so wütend ist.

Man hört ja auch in dem Song, dass ich irgendwie raus will und Bock habe, mitzumachen und dort stattzufinden. Zu der Zeit, als ich angefangen habe, Musik zu machen, 2019, gab es nicht viele FLINTA* Artists. Zumindest nicht in dieser Independent Wave-Pop/Pop-Rock Szene. Und ich habe seitdem oft gehört, dass andere FLINTA* sich ein Beispiel an mir genommen haben. Es ist schön zu wissen, dass man zumindest einen positiven Einfluss auf die Leute in der eigenen Bubble hat. Viele Künstler*innen, die mittlerweile viel größer sind als ich, sind mir zugewandt und ich weiß, dass sie mich schon damals gehört haben und inspiriert wurden. Und auch das ist ein gutes Gefühl: zu wissen, dass es andere Leute in größere Gefilde trägt.“

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Da du schon immer viel in diesem männerdominierten Feld unterwegs warst, würdest du sagen, dass du mal ein „Not Like Other Girls“-Girl warst? 

„Ja… schon. (lacht) Ich glaube nicht, dass es mal eine Zeit gab, in der ich über andere Mädchen habe habe, um Jungs besser zu gefallen. Ich hatte keine romantischen Verbindungen zu Jungs, bis ich etwa 19 war, habe mich also nie in einem Kontext gesehen, in dem ich mich bei Jungs gut positionieren musste, weil ich wusste, das war eh vom Tisch. Ich war äußerlich nicht das, was als ,attraktiv‘ gilt, und wir wissen ja, wie Teenie-Jungs sind. Ich war entweder sehr, sehr dünn oder sehr, sehr dick und ich habe immer schon einen ausgefallenen Kleidungsstil gehabt. Das finden die meisten vierzehnjährigen Jungs nicht gut. Irgendwann habe ich das auch akzeptiert, ich dachte: Wenn ich erwachsen bin, wird sich alles finden. Und so war es dann auch.

Es war nie so, als würde ich jemandem gefallen wollen, ich war einfach vom Gefühl her mehr wie ein Junge. Ich habe immer gedacht, ich passe besser zu den Jungs. Nicht, weil ich Frauen nicht gut fand, sondern weil ich Frauen so toll fand und mich selber nicht gut genug. Ich habe immer gedacht, ich bin nicht gut genug Frau. Ich glaube auch, ohne jetzt mit irgendwelchen Begriffen um mich zu werfen, wenn dieses Thema der Nicht-Binarität in meinen frühen Jugendjahren so präsent gewesen wäre wie jetzt, dann hätte ich sicherlich mit 13 oder 14 viel darüber nachgedacht, ob ich mich tatsächlich als Frau identifiziere.

Außerdem führt eine Essstörung oft dazu, dass einem sekundäre Geschlechtsmerkmale genommen werden. Deswegen spreche ich auch von meinen ‚geschlechtslosen‘ Jugendjahren. Als ich etwas Geld hatte, habe ich damit angefangen, ganz viel machen zu lassen, um besonders feminin auszusehen. Und jetzt bin ich äußerlich, glaube ich, die volle Verkörperung von ‚klassisch feminin‘ und so fühle ich mich auch.“

Diese Entwicklung ist also nicht aus der besten Intention heraus entstanden, aber du bist damit trotzdem zufrieden?

„Voll. Ich fühl mich mittlerweile super wohl, ich bin ich selbst. Natürlich werde ich mich nie so fühlen wie jemand, der neurotypisch ist und nie eine Essstörung hatte, aber mit meiner geschlechtlichen Identität kann ich mich zu einhundert Prozent identifizieren und habe auch gelernt, dass ein bestimmtes Aussehen nicht mit einem bestimmten Verhalten und einer bestimmten Mentalität einhergehen muss. Dass ich Frau sein kann, aber mich nicht auf das beschränken muss, was typisch mit Frausein assoziiert ist. Dass ich selbst entscheiden kann, klassisch feminin aufzutreten und trotzdem meinen eigenen Charakter zu haben und mich für die Themen zu interessieren, die mich wirklich bewegen. Das kann alles gleichzeitig existieren und das finde ich total schön.“

Du hast schon von den musikalischen Einflüssen für das Album gesprochen. Gerade als 1000 kleine Tode herauskam, musste ich sehr an LaFee denken. Ist sie auch ein Einfluss?

„Ja, ich war Riesenfan! Und ich finde es schön, dass du das positiv konnotierst. Ich habe ein paar erste Rezensionen von meinem Album bekommen – oh Wunder, von Männern – die das super negativ konnotierten. Als wäre es ein peinlicher Ausrutscher, dass meine Songs wie LaFee klingen. ‚Oh Gott, ich bin peinlich an meine VIVA-Zeit erinnert!‘ My Brother in Christ, meine VIVA-Zeit war die beste Zeit meines Lebens! Ich fand nichts geiler als mein Handyguthaben dafür rauszuballern, Prinzesschen von LaFee bei ‚Get the Clip‘ hochzuvoten. 

Ich weiß nicht, warum insbesondere Deutschland immer so peinlich berührt auf die musikalische Vergangenheit der 2000er schaut. Damals hat sich deutsche Musik wenigstens noch Mühe gegeben, international zu klingen. Nach zwei Takten konntest du nicht sagen, das ist ein deutscher Song und jetzt kommt irgendein Typ, der so singt (imitiert eine raue, tiefe Stimme). Und alles klingt gleich, alle sehen gleich aus und alles ist total harmlos und kein bisschen provokant.

Damals gab es noch deutschen Rock, HipHop und Pop. Es hat alles auf MTV, VIVA und im Mainstream stattgefunden und es war cool. Ich finde das, was LaFee damals gemacht hat, so wichtig und es ist mir scheißegal, ob ihre Musik zu Beginn von irgendwelchen Männern für sie geschrieben wurde. Die war 14, als sie angefangen hat. Ich hätte mit 14 auch keinen eigenen Song schreiben können, der gechartet wäre.  ,Es klingt wie LaFee‘, wie geil ist das denn? Danke für das Kompliment! Ich hoffe, wenn sie meine Musik hört, gefällt sie ihr, denn sie war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Mädels damals angefangen haben, Rock zu hören.“

Kürzlich hast du einen ausführlichen Instagram Post darüber gemacht, dass deine Musik nie von deinem Geschlecht getrennt betrachtet wird, dass du immer zuerst Frau und erst dann Musikerin bist. Magst du nochmal erklären, was genau du hier an der Szene und den Medien kritisierst?

„Ich werde in jedem Interview gefragt, wie es als Frau in der Musikindustrie ist. In jedem Interview. Ich muss immer Stellung beziehen, ich muss mich immer positionieren und ich bin Aktivistin, bevor ich Musikerin bin. Männer dürfen einfach Musik machen und es ist nicht ‚Männermusik‘, es gibt keine ‚Männerplaylists.‘ Es gibt keine ‚Männerfestivals‘, denn das sind einfach normale Festivals. Doch es gibt FLINTA*-Festivals, FLINTA*-Konzertreihen, FLINTA*-Playlists. Natürlich um überhaupt einen Ort zu schaffen, wo wir stattfinden können. Aber wir existieren weiterhin in separaten Spaces, in denen wir unter uns bleiben. Kein Mann geht auf eine FLINTA*-Show. Meine männlichen Freunde würden sich nicht anmaßen dahinzugehen, weil sie den Safer Space nicht ruinieren wollen – was ja ein guter Gedanke ist, aber ja auch nicht förderlich für uns, die auf der Bühne stehen. 

Ich bin nicht nur finanziell und existenziell, sondern auch künstlerisch darauf angewiesen, dass mein Publikum durchmischt ist und ich diverse Leute im Publikum habe und dazu gehören auch Männer. Ich will meine Platten auch an Männer verkaufen. 

Auch wenn sich ein Mann vielleicht nicht mit der Gefühlswelt einer dreißigjährigen Frau identifiziert, kann er trotzdem über die Musik einen Zugang finden. Ich höre auch Dad-Rock aus den Siebzigern. Ich kann mich nicht mit den Texten von ACDC oder Guns’N’Roses identifizieren, ich höre einfach weg und denk mir, geile Gitarre, geiler Song!

Das können Männer theoretisch auch, aber denen wird die Chance genommen, weil wir immer nur in diesen FLINTA*-Spaces existieren. Das ist alles ein gut gemeinter Gedanke, weil es darum geht, überhaupt erstmal sichtbar zu werden, aber es sorgt wieder für neue Probleme. Und es macht kaputt, was wir eigentlich wollen.

Das klingt zwar ausgelutscht, aber wir wollen einfach nur Gleichberechtigung. Dass es Unterschiede zwischen uns gibt, basierend auf der Zusammensetzung unserer Hormonhaushalte, Sozialisierung, körperlichen Merkmalen und seelischen Einstellungen, ist klar, aber diese Unterschiede sollen uns doch eigentlich einen. Sie sollen dafür sorgen, dass wir einander respektieren und bewundern, aber nicht, dass wir uns gegenseitig als komplett anders wahrnehmen. Das verstärkt diese scheiß Binarität nur. Wir wollen doch dahin, dass wir alle zusammen stattfinden und gegenseitig ein Gefühl füreinander entwickeln. Das ist in Arbeit, aber geht mal mehr, mal weniger in die richtige Richtung. Das nervt mich total.“

Deine Community fühlt sich aber wahrscheinlich sehr wohl damit, dass größtenteils FLINTA* auf den Shows sind, oder?

„Ich find es schön zu sehen, dass in einem FLINTA*-dominierten Space, die meine Konzerte ja sind, trotzdem Männer existieren, die aber entspannt sind und die Atmosphäre nicht ruinieren. Das hatte ich bis jetzt eigentlich fast immer. Dass immer ein paar Dads da waren oder vereinzelt ein paar Metaler, die mich feiern. Eine Durchmischung, ohne dass einander Raum genommen wird und gleichzeitige Existenz im gleichen Raum. Das so noch stärker hinzukriegen, ist mein Ziel, sodass alle wirklich Spaß haben können.

Ich möchte einen Raum schaffen, in dem wir alle, auch FLINTA*, abgehen, loslassen, herumspringen und moshen können, ohne dass es auf eine Ebene gerät, wo maskulin-dominante Gewalt in der Atmosphäre liegt.

Ich war zum Beispiel mal auf einem Konzert von Wargasm UK. Die Band besteht aus einem Typ und einer Frau. Ich weiß nicht, ob das so ein Deutschland-Ding ist, dass wir das immer so groß machen, sobald eine Frau in einer Band ist, aber bei denen ist das nie Thema. Sie steht einfach auf der Bühne und macht einen fucking guten Job. Und das spiegelt sich im Publikum wider. Die Anwesenheit einer Frau auf der Bühne animiert das Publikum bestenfalls dazu, achtsamer zu sein. Auf diesen Konzerten habe ich mich immer bewegt, weil so eine vorsichtige Mentalität und der Wunsch, innerhalb eines Safer Spaces loszulassen und abzugehen, gleichzeitig existiert hat. Das ist, was ich an mein Publikum weitergeben möchte.”

In der Pressemitteilung zu silber steht, es gäbe keinen Unterschied zwischen Mia auf der Bühne, online und privat. Ist das nicht schwierig oder anstrengend?

„Es ist Horror. Für mich war es nie eine Option, mir ein Alter Ego für die Bühne auszudenken. Ich finde mich als Mensch genug, um ohne Maske aufzutreten. Natürlich verstärke ich auf der Bühne bestimmte Seiten von mir – ich gebe mir besonders Mühe, sympathisch zu wirken, gut auszusehen und selbstbewusster zu erscheinen, als ich es im Alltag vielleicht bin. Klar, das Publikum sieht nur einen Ausschnitt meines Wesens, aber dieser Teil gehört untrennbar zu meinem echten Selbst.

Trotzdem ist es wahnsinnig anstrengend. Denn aktuell gibt es nichts in meinem Leben, das meinen Selbstwert definiert, außer dieser Bühne. Und das ist extrem toxisch.

Dadurch, dass ich meine größte Leidenschaft zum Beruf gemacht habe, bleibt mir kein Ausgleich, keine Alternative, auf die ich zurückgreifen könnte, falls plötzlich niemand mehr zu meinen Konzerten käme oder das Interesse an meiner Musik versiegt. Sollte die Welt das Interesse an Kunst verlieren, ziehe ich daraus sofort den Schluss, dass ich als Mensch nicht ausreiche – und genau das muss ich dringend loslassen.“

Du hast auch eine große Social Media Präsenz. Ist das so, weil du es machen musst?

„Das ist ein bisschen ambivalent bei mir, denn ich komm daher, ich war schon immer im Internet. Egal was für eine Website, ich hatte dort ein Profil. Aber es war eine ganz andere Art von Internet. Auch Instagram, bevor es zu Facebook bzw. jetzt Meta gehört hat, war eine komplett andere Plattform. Es gab dort eine andere Mentalität und man hatte noch das Gefühl, dass man Leute mit Content erreicht. Dass er nicht einfach nur als Fütterung dieser unsichtbaren Algorithmus-Maschine stattfindet, sondern dass der wirklich nachhaltig ist. Zum Beispiel habe ich viele Freund*innen, die tätowieren. Früher hast du, wenn du gut zeichnen und tätowieren konntest, schnell Follower*innen akkumuliert und Interaktionen mit deinem Post gehabt. Das findet nicht mehr statt, weil alles mit Content geflutet ist. 

Die ganzen Plätze, die von Kunst belegt werden könnten, werden mit irgendwelchen KI-Inhalten gefüllt. Von irgendwelchen Elsas und Annas, die super sexualisiert animiert sind. Meine komplette For You-Page ist voll mit sowas. Das nimmt alles viel Platz weg. Ist klar, dass die Kunst nicht mehr gesehen wird, und das ist das Frustrierende daran.

Früher war es so: Ich poste ein schönes Bild, ich poste ein Video, das ich mit Mühe geschnitten hab. Die Leute sehen es, die Leute liken es, die Leute wertschätzen es. Jetzt ist es nur noch ein Algorithmus, in den die ganze Zeit etwas geschmissen werden muss, denn sonst wirst du tiefer in den Höllenpott gesogen und so sehen es noch weniger Leute. ‚Poste zwei Reels am Tag. Poste um 12:00 und um 18:00 Uhr. Benutze diese Schlagworte.‘ Ich ekele mich vor meinem eigenen TikTok-Content, weil es mir so zuwider ist, Posts zu machen wie ‚Hey, magst du die Musik von Linkin Park und vermisst die Zweitausender? Dann solltest du Mia Morgan auschecken, das bin ich.‘ Das Problem ist, das ist die einzige Art und Weise, mit der neue Leute mich noch sehen. Das ist so ekelhaft. Ich will einfach, dass es reicht, gute Kunst zu machen. Ich habe kein Problem damit, meine Kunst zu teilen. Ich liebe es, zu posten und mich auszudrücken, aber es geht alles den Bach runter. Außerdem sind die ganzen sozialen Medien mittlerweile in den Händen irgendwelcher Faschos. Ich habe gar keinen Bock mehr drauf, so wie es jetzt ist.“

Mia Morgans Album „silber“ ist ab jetzt überall zu hören.

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